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Gebrauchsanweisung für China (German Edition)

Gebrauchsanweisung für China (German Edition)

Titel: Gebrauchsanweisung für China (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Strittmatter
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Pranke des Postbeamten gerade über den Schalter gereicht hat, mit der Zunge ab? Das finden Chinesen nämlich schauerlich. »Und mal ehrlich«, sagte mir unser Freund, der bekehrte Wirt: »Bei euch in Europa spucken sie doch genauso. Ich seh’s bei jedem Fußballspiel: in Zeitlupe und Nahaufnahme.«
    Spucken und Fluchen sind Nummer eins und zwei auf einer offiziellen Liste von schlechten Angewohnheiten, die die Stadt Peking ihren Bürgern austreiben möchte. In ihrem Bemühen um den olympiatauglichen Pekinger überraschte die Stadt ihre Bürger ein Jahr vor den Spielen mit dem Slogan »Es ist zivilisiert, Schlange zu stehen, es ist glorreich, höflich zu sein.« Gleichzeitig erklärte das Amt für geistige Zivilisation den Elften jedes Monats zum »Schlangesteh’-Tag«. »An diesemTag werden die Bürger von nun an ermuntert, ordentlich anzustehen, anstatt sich vorzudrängeln«, erläuterte die Nachrichtenagentur »Xinhua«. »Wir sind die olympischen Gastgeber und sollten bei Besuchern von zu Hause und aus dem Ausland einen guten Eindruck hinterlassen«, zitierte »Xinhua« damals eine begeisterte Bürgerin namens Li. Ein paar Monate später dann erklärte das Amt, von nun an sei in Peking der 22. jedes Monats der »Platz-geb-Tag«: der Tag, an dem die Leute in Bus, Zug und U-Bahn ihren Sitzplatz an Alte, Schwangere und Behinderte weitergeben sollen. Und wieder zitierte »Xinhua« eine begeisterte Bürgerin: »Wir sind die olympischen Gastgeber und sollten bei Besuchern von zu Hause und aus dem Ausland einen guten Eindruck hinterlassen«, sagt die Dame. Diesmal heißt sie Bai. Der Gerechtigkeit halber sei vermeldet, dass die Schanghaier Stadtregierung schon ein paar Jahre vor Peking eine solche Liste mit den Unzulänglichkeiten ihrer Bürger anlegte, dass die Schanghaier Liste jedoch nur sieben Unsitten vermerkt (Peking: zwölf), was man nun wieder als Anspielung darauf lesen mag, welche Stadt auf dem Weg zu Anmut und Würde einen Vorsprung zu haben vermeint.
    Beide Städte nehmen zudem allerlei Gepflogenheiten aufs Korn, die auf den Listen nicht erwähnt sind. Peking zum Beispiel blies einen Sommer lang zur Jagd auf die bang ye , die »Oben-ohne-Kerle«: vornehmlich Familienväter und Opas, die an heißen Sommertagen mit hochgerolltem Hosenbein und entblößtem Oberkörper vor ihrer Hütte in der Altstadt sitzen, weil es ohne Klimaanlage im Haus kaum auszuhalten ist. Dabei klatschen sie sich abwechselnd mit der einen Hand auf den stolzen Bauch, wie um sich zu vergewissern, dass er noch da ist, und fächeln ihm mit dem Bambusfächer in der anderen Hand Kühlung zu. So hielten das wahrscheinlich schon ihre Großväter unter der Mongolenherrschaft, und so würden es wahrscheinlich noch ihre Enkel halten, hätte nicht in jenem Sommer die »Pekinger Jugendzeitung« unter demBeifall der Behörden beschlossen, Besuchern der Stadt in Zukunft den Anblick nackter Pekinger Bäuche nicht mehr zu gönnen. Es rückten Scharen von Freiwilligen und Reportern aus, um die zunächst völlig verblüfften Männer in Vor-Ort-Belehrungen über den Tatbestand der »Unzivilisiertheit« zu informieren und ihnen sodann ein ihre Mannespracht verhüllendes T-Shirt aufzunötigen. Auf dem T-Shirt stand: »Ein zivilisiertes Peking fängt bei mir an.« Als ich in jenen Wochen eine Fahrradtour durch die hu tongs , die alten Gassen, unternahm, konnte ich meine Kamera kaum aus der Tasche nehmen, ohne dass nicht sofort wenigstens drei bang yes hinter einen Kohlehaufen gehechtet wären. »Keine Fotos! Sonst kommen wir in die Zeitung und werden kritisiert, weil wir Peking ein schlechtes Image geben«, rief mir einer zu mit sichtbarer Panik in den Augen.
    Während sie in Peking den Leuten etwas zum Überwerfen aufzwingen, versucht zur gleichen Zeit in Schanghai die Regierung, ihren Bürgern ein Kleidungsstück vom Leibe zu reißen: den Schlafanzug. Nicht, dass man im Rathaus dort grundsätzlich etwas gegen Pyjamas hätte. Nur auf der Straße will man sie nicht haben. Schließlich wäre man so gerne Weltstadt. Den Transrapid und die Formel 1 hat Schanghai schon geholt, im Jahr 2010 empfing die Stadt Millionen von Besuchern zur Weltausstellung. Tolle Glas- und Stahlspargel kratzen den Himmel über der Stadt. Aber unten auf der Erde, inmitten all der Weltläufigkeit, spazieren noch immer Schanghaier im Schlafanzug umher. Am helllichten Tag. Schlendern im Schlafanzug zum Markt, holen sich im Pyjama eine Portion gedämpfter Teigtäschlein in der Garküche.

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