Gebrauchsanweisung für China (German Edition)
Ausländer sich zum Kaspar machen, indem sie vor Publikum Peking-Oper singen oder in altem Chinesengewande radebrechend xiang-sheng zum Besten geben, jene traditionellen, mit Dialekt und Sprachwitz jonglierenden Zwei-Mann-Sketche: Balsam für die wunde Seele. Der deutsche Komponist Karsten Gundermann machte den Chinesen eine besondere Freude: Er ist der erste Ausländer, der je eine Peking-Oper schrieb (»Die Nachtigall«). Als er 1992 zum Studium in Peking eintraf, lernte Gundermann schnell, wie die Welt von hier aus aussah: »Hier ist China. Um China herum leben die Barbaren. Und hinter den Barbaren, da kommen wir Europäer.« Lehrer und Mitschüler empfingen ihn mit großer Freundlichkeit. »Ich wurde liebevoll behandelt«, erzählte mir Gundermann, »so liebevoll eben wie der Hinterbarbar, der erkannt hat, wo das Zentrum der Weltkultur liegt.«
Ich weiß, dass es in Bayern auch einen Japaner gibt, der in Lederhosen steckt und jodelt. Aber der Japaner wird dort doch eher als Kuriosum betrachtet und darf froh sein, wenn erauf der Bühne im Bierzelt zehn Minuten bekommt, bevor ihm einer die Tuba über den Gamsbart stülpt. Dazu ruht der Bayer doch zu sehr in sich, als dass er zur Versicherung seiner selbst nicht auskäme ohne japanisch ausgefüllte Lederhosen. In China hingegen hat jeder Fernsehsender und jede Stadt eine eigene TV-Show, in der man mindestens einmal im Jahr zwei Stunden lang nichts anderes bewundern kann als kostümierte französische Studentinnen, die Kunqu-Opernarien krähen, pummelige Amerikanerinnen, die sich als Tang-Palastgrazien im Seidenbandtanz versuchen, und tollpatschige Deutsche, die sich Mühe geben, sich bei ihren Kung-Fu-Rollen möglichst wenig Knochen zu brechen. Das chinesische Publikum hat großen Spaß an solchem Zirkus, und ironieverdorbenen Westeuropäern sei an dieser Stelle ins Stammbuch geschrieben: Wenn die Chinesen lachen bei den unbeholfenen Vorführungen, dann ist das keineswegs Schadenfreude, sondern eine fast kindliche Begeisterung (diesen sympathischen Zug kann man auch beim Karaoke erleben, wo ein Volk von Hobbysängern zarten Melodien Abend für Abend schlimme Gewalt antut und dennoch von seinen Freunden enthusiastisch und ohne jeden Anflug von Spott begleitet wird).
»Von jeher kennen Chinesen nur zwei Bezeichnungen für fremde Völker: ›wilde Bestien‹ oder ›Majestät‹«, schrieb Lu Xun einmal. »Nie nannten wir sie ›Freunde‹, nie sagten wir, sie seien wie wir.« Darin wenigstens sind Chinas Herrscher heute anders: Der Ehrentitel »Freund« wird heute recht großzügig vergeben, manchmal hat man den Eindruck, die Begriffe wai guo (Ausland) und peng you (Freund) seien regelrecht verwachsen miteinander und kämen nur mehr im Doppelpack vor: »Unsere ausländischen Freunde!«
Die Frage ist, ob das immer ernst gemeint ist. So freundlich der Ruf lao wai , Ausländer, sein mag, er trägt auch die Bedeutung »Außenseiter«. Nie, so die weitverbreitete Überzeugung, wird ein lao wai China und die Chinesen verstehenkönnen. Eines der listigsten und nur selten ehrlich gemeinten Komplimente, das ein Chinese einem Ausländer machen kann, ist deshalb jenes, er sei ein zhong guo tong , ein Chinafachmann. Das Kompliment wird oft für Gegenleistung vergeben: Solche Chinakenner beweisen ihre Expertise, indem sie auf Kritik an China verzichten.
Von der Sorte gibt es nicht wenige. Man nimmt diesen Ausländern ihr Wohlbefinden auch ab: Viele Chinesen behandeln Besucher aus dem Westen besser als ihre eigenen Landsleute; dazu führen die meisten ein Leben in Privilegien, die ihnen zu Hause nicht zustünden. Residieren hinter bewachten Mauern, in Luxuswohnungen und -villen, mit Dienstwagen, Dienstmädchen und doppeltem Gehalt. Die folgenden Zeilen stammen aus dem Jahr 1925, aber manchmal ist es, als sei die Zeit stehen geblieben: »Wenn die Ausländer ausgehen, stehen ihnen Autos zur Verfügung, wenn sie unterwegs sind, werden sie eskortiert. Wenn die Straßen für die Durchfahrt von hochrangigen Persönlichkeiten gesperrt sind, dürfen Ausländer trotzdem passieren. Wenn sie beraubt werden, entschädigt man sie. Ganz zu schweigen von den üppigen Banketten in luxuriösen Gemächern, die man ihnen bereitet. Beim Genuss solcher Festmahle werden die Ausländer natürlich die chinesische Zivilisation preisen« – simpler Trick, funktioniert heute noch bestens. Chinas Regierung versteht sich meisterhaft aufs Einwickeln von Gästen.
Was die Einstellung von Ausländern
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