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Gebrauchsanweisung für China (German Edition)

Gebrauchsanweisung für China (German Edition)

Titel: Gebrauchsanweisung für China (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Strittmatter
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aus dem Protokoll streichen.« (Gelächter)
    Deutsche Bundeskanzler mochten China meist sehr gern. Ob das an solchen Terminen liegt wie jenem, den wir in der Provinz Sichuan mitgemacht haben, das weiß ich nicht. Auf dem Programm stand die Firma »Maipu«, ein Hightechunternehmen im Industriegebiet der Stadt Chengdu, von der deutschen Botschaft war es zuvor als Paradebeispiel für die Entwicklung in Chinas Hinterland angekündigt worden. Ich weiß heute noch nicht, was sie dort herstellen. Ich weiß aber, dass sie dort so viel Vertrauen in den Fortschritt haben, dass sie das Gelingen des Kanzlerbesuches in die Hände eines automatischen Übersetzungsprogramms legten und dass es dort einen Dolmetscher gibt, der fürderhin das Maipu-Orakel genannt ward.
    Der Besuch spielte sich in etwa so ab: Kolonne braust an, jovialer Kanzler springt heraus, stürmt in den Empfangsraum; nervöser Botschafter, gebauchpinselte Honoratioren und nörgelnde Journalisten stolpern hinterher. Drinnen warten ein noch nervöserer Dolmetscher und ein noch mehr gebauchpinselter Fabrikdirektor. Der Zeitersparnis halber beginnen die beiden, gleichzeitig in ihre Mikrofone zu bellen: der eine auf Chinesisch, der andere auf, ja, auf was eigentlich?
    »Jedes Jahreswachstum verlässt hinter dem Gedächtnis im unaufhörlichen Fluss der Zeit«, begrüßt der Dolmetscher den Bundeskanzler. Der guckt ihn erwartungsvoll an, bohrt sich zur Sicherheit noch mal den Schlaf aus dem Ohr. »Alles notiert die Großartigkeit in jedes Jahr, die funkelt.« Wohl, wohl, scheint der so willkommen Geheißene nun zu denken, diese Orientalen. »Ermöglichen Sie Maipu, das Gesundheit Immergrünunternehmen zu werden«, schallt es aus den eigens aufgestellten Boxen, offenbar auf Deutsch. Der Kanzler guckt nun etwas irritiert und wendet seinen Blick Hilfe suchend auf eine große Leinwand: Auf die wirft ein Projektor praktischerweise in großen Lettern die jeweils gesprochenen Sätze noch einmal hin, für die Begriffsstutzigen. »Der Chinesen Mehrkanalmodulation Demodulator MP 1000 zuerst inder Maipu Geburt«, heißt es da jetzt in großen Lettern parallel zum zweisprachigen Lautsprecherstakkato. Staatsmännisch gefasst, nickt der Kanzler den aufgeregt seinen Blick suchenden Herren Dolmetscher und Direktor zu, was die zum Ansporn nehmen, ihr doppelsprachiges Duett immer atemloser herunterzurasseln: »Durch die einzigartige Innovation und das konstante Sein sachverständig innen, haben das endlose Wunder und Zuerst notiert.« Aufmunterndes Lächeln des Kanzlers. Es läuft gut, sie spornen sich nun gegenseitig an. »Wir gingen bereits wachsen aus nichts«, hechelt der zusehends an Selbstvertrauen gewinnende Dolmetscher: »Von Kindheit heraus zu Reife, von bleiben unverständlich in zum Anfang der internationalen Szene der sehr hohe Kurs der Entwicklung.«
    Stille, Feuer eingestellt.
    Soso, murmelt der Kanzler. »Danke schön!«, steht nun auf der Leinwand. »Danke schön!«, sagt der Kanzler. Direktor und Dolmetscher lächeln glücklich.
    Wer meint, das Beispiel diene mir als Beleg dafür, wie miserabel es um die Deutschkenntnisse der Chinesen bestellt sei, der hätte mich missverstanden: Es haben deutsche Kanzler und Präsidenten in chinesischen Hörsälen schon angeregte Diskussionen ganz auf Deutsch geführt (man versuche sich einmal die umgekehrte Situation vorzustellen). Nein, illustrieren wollte ich lediglich, wie leicht im chinesisch-abendländischen Verkehr gute Einfälle im Treibsand einander verfehlender Erwartungen absaufen können; Sie zudem vorbereiten auf allerlei Situationen von nicht geringer Komik, in die Sie tagtäglich stolpern können.
    Wenn Sie durch China spazieren, wird man Ihnen oft lao wai nachrufen: »Ausländer«. Wörtlich heißt lao wai »der Alte von draußen« und ist entgegen der misstrauischen Vermutung einiger der so Angesprochenen keineswegs unfreundlich gemeint. Im Gegenteil: Das Adjektiv lao , »alt«, vor Namensbezeichnungenist im Chinesischen stets ein Ausdruck von Respekt, oft sogar von Vertrautheit. Andere, mittlerweile seltenere Rufe sind gao bi zi , was als »Langnase« ins Deutsche eingegangen ist, aber eigentlich »Hohe Nase« bedeutet, oder in Südchina und Hongkong gwei lo: fremder Teufel. Das klingt schon weniger freundlich und ist ein Erbstück aus der an Konflikten mit dahergerittenen oder -gesegelten Ausländern nicht armen Geschichte Chinas. Die in der Mitte der Welt residierenden Chinesen sahen sich stets als auserwähltes Volk

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