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Gebrauchsanweisung für China (German Edition)

Gebrauchsanweisung für China (German Edition)

Titel: Gebrauchsanweisung für China (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Strittmatter
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gegenüber China angeht, so scheinen Besucher öfter, als ihnen guttut, in eines von zwei Extremen zu verfallen: Die einen kriegen den Koller (»Hölle!«), die andern kriegen auch den Koller (»Paradies!«). Das Lager der Paradiesblicker ist im vergangenen Jahrzehnt, angetrieben von Wirtschaftswachstum und Aufbruchsstimmung, mal wieder gewaltig angeschwollen. Unter den Schwärmern gibt es solche, denen hilft das Schmeicheln bei ihren Geschäften, es gibt solche, die es nicht besser wissen, und es gibt solche, die es nicht besser wissen wollen. DasNicht-besser-wissen-Wollen wird einem in China sehr leichtgemacht. Es passiert ja tatsächlich viel Aufregendes und Gutes. Und dann sind überall so schöne Fassaden aufgestellt.
    Ihre besondere Fürsorge lässt Chinas Regierung ausländischen Journalisten zukommen, die bis 2008 kein Interview im ganzen Land führen durften, ohne es zuvor bei sogenannten wai ban , Ausländerämtern, angemeldet zu haben. (Anlässlich der Olympischen Spiele erlaubte das Außenministerium den Journalisten erstmals, ihre Interviewpartner frei zu wählen. In der Praxis aber behindern Polizei, Geheimdienste und bezahlte Schläger bis heute ihre Recherchen). Wenn man sich dann anmeldete, konnte es einem so ergehen wie mir in den Jinggang-Bergen in der Provinz Jiangxi, wo ich eine Geschichte über die Ursprünge von Maos Revolution recherchieren wollte. Erster, von der örtlichen Ausländerbehörde dringend empfohlener Programmpunkt sollte ein Interview mit dem Sohn einer »revolutionären Märtyrerfamilie« sein. Auf dem Flughafen der Stadt Nanning wurde ich von einem Beamten der Provinzregierung begrüßt: meinem offiziellen Begleiter. Ein Wagen mit Fahrer stand bereit. Als wir ein paar Stunden später in der Kreisstadt in den Bergen eintrafen, winkten am Straßenrand schon drei Beamte der örtlichen Kreisregierung und schleppten uns erst einmal zum Essen. Nach Essen und Schnaps fuhren wir – nun schon in zwei Wagen – beim Parteibüro des betreffenden Dorfes vorbei, wo sich uns der örtliche Parteisekretär samt Lakai in einem dritten Santana anschloss. Solchermaßen angeschwollen auf einen Konvoi von drei schwarzen Wagen mit blickdichten Scheiben, rollten wir schließlich bei Bauer Liu vor: Insgesamt acht von uns drängten in die Wohnstube seiner Kate, wo neben einem alten Mao-Poster eine gerahmte »Revolutions-Märtyrerfamilie-Bescheinigung« an der Wand hing (die Großeltern waren von Kuomintang-Truppen ermordet worden, der Vater im Kampf für Mao Zedong gefallen). »Der arme Kerl«, dachte ich angesichts unserer einschüchternden Abordnung.Ich hätte mir aber keine Sorgen zu machen brauchen. Nachdem getrocknete Süßkartoffelschnitze und Melonenkerne auf dem Tisch standen, erhob sich der Bauer und setzte an, erstaunlich geübt, zu einem feierlichen Vortrag: »Sehr geehrter Parteisekretär, sehr geehrte Funktionäre, sehr geehrter Herr aus Deutschland. Ich begrüße Sie recht herzlich im Namen des alten Revolutionsgebietes Dajing. Viele Ausländer haben mich schon besucht, auch welche aus Australien und Frankreich. Nächste Woche soll ein Fernsehteam aus Japan kommen. Der große Mao hat mir diese Ehre eingebracht...« Wie sich hernach herausstellte, arbeitete der Mann nicht einmal mehr als Bauer: Das Ortskomitee zahlte ihm ein Gehalt, er war der Vorführ-Märtyrer-Abkömmling des Dorfes. Bezahlen durfte man sie übrigens selbst, all die hilfsbereiten Beamten, die einen begleiten.
    Dass die Auslandspresse trotz der Aufmerksamkeit, die ihr behördlicherseits zuteil wird, noch nicht ganz so objektiv berichtet wie Chinas Staats- und Parteipresse, dass in ihren Berichten regelmäßig die hässlichen Ecken hinter dem großen Vorhang und manch morsche Pfeiler unter der grandiosen Illusionistenbühne auftauchen, ist immer wieder Anlass zu Klage: nicht nur seitens Chinas Regierung, sondern auch seitens westlicher Geschäftsleute, Diplomaten und Politiker. Vor allem, seit die entschieden haben, dass das Land – China! – nach einem Ausrufezeichen schreit und nach erregt erhobenen Zeigefingern. China pulsiert, China purzelt, China platzt, vor allem aber: China packt uns. Mal wieder.
    China schickt einen Menschen ins All und eine Sonde zum Mond, es meldet mehr Mobiltelefone als die USA. Seine Jugendlichen färben sich die Haare modisch blond, seine Staatsführer färben sie sich jugendlich schwarz, und seine Ausund Einfuhren legen so zu, dass man als europäischer Staatsoder Geschäftsmann heulen

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