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Gebrauchsanweisung für China (German Edition)

Gebrauchsanweisung für China (German Edition)

Titel: Gebrauchsanweisung für China (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Strittmatter
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und Quell aller Zivilisation: Was jenseits der Grenzen kreuchte und fleuchte, waren Barbaren, deren uneingeladene Grenzübertritte China meist Unbill und Zerstörung brachten – und die im 19. Jahrhundert einfallenden Europäer gaben sich größte Mühe, diesem Urteil gerecht zu werden.
    Ende des 18. Jahrhunderts klopften die Engländer erstmals an am Hof in Peking. Sie waren scharf auf Tee und Porzellan und all die anderen kostbaren Erzeugnisse Chinas und hätten den Chinesen gerne im Gegenzug viele Schiffsladungen britischer Waren angedreht. Kaiser Qianlong diktierte daraufhin einige Briefe an den fernen König George III., um ein paar Dinge klarzustellen. »Sie, o König aus der Ferne«, begann sein Brief von 1796, »sehnen sich nach den Segnungen unserer Zivilisation und haben in Ihrem Verlangen, in Berührung zu kommen mit ihrem heilsamen Einfluss, eine Gesandtschaft mit einer Denkschrift über den Ozean geschickt. Ich habe Notiz genommen von Ihrem respektvollen Geist der Unterwerfung und Ihre Gesandtschaft mit höchster Zuvorkommenheit behandelt.« Der Himmelssohn wollte dem König von England also gerne die Ehre zugestehen, als Tribut leistender Untertan an seiner Strahlkraft teilzuhaben; er ließ König George III. aber im gleichen Atemzug wissen, dass ansonsten im großen China die Ausländer – und die von ihnen mitgebrachten Kuriositäten – so überflüssig seien wie ein Kropf: »Die majestätische Tugend unseres Reiches hat alle Länder unter dem Himmel durchdrungen, und Könige aller Nationen habenkostbare Tribute geschickt. Wie Ihr Gesandter sehen mag, besitzen wir bereits alles. Ich sehe keinen Wert in unbekannten und kunstreichen Dingen und habe keine Verwendung für die Waren Ihres Landes.« Kaiser Qianlong hieß im Anschluss die »Barbarenhändler« mehr oder weniger deutlich, sie sollten sich zum Teufel scheren, und schloss das Edikt mit dem üblichen Kaisergruß: »Gehorche zitternd!« Ein paar Jahr später schickten die Engländer die Kanonenboote. Und das Opium.
    Man kann nicht sagen, dass das Verhältnis zwischen China und dem Ausland damit weniger kompliziert geworden wäre. Es war ein Schock für die Chinesen: dass sie gegen ein paar Boote aus England nichts auszurichten vermochten, dass sie hoffnungslos unterlegen und hilflos waren, dass ihnen mit einem Mal Franzosen und Russen und Japaner und Deutsche auf der Nase herumtanzten. Fremde Nationen, die Besatzungssoldaten und Missionare ins Land schickten, um sich fette Stücke herauszureißen aus der »Bratwurst« China (die Metapher stammt vom deutschen Gesandten, Baron Freiherr von Ketteler, dem alsbald am 20. Juni 1900 in Peking eine Kugel den Schädel zerschmetterte). So wie es ein Schock für sie gewesen war, 700 Jahre zuvor von den Mongolen überrannt zu werden und 300 Jahre zuvor von den Mandschuren. Wieder waren die Barbaren im Land. Diesmal aber war alles anders: Die Mongolen- und Mandschurenherrscher hatten sich jeweils kaum auf dem Kaiserthron in Peking niedergelassen, da waren sie schon vom eroberten Volk kaum mehr zu unterscheiden, hatten über Nacht gelernt, mit Stäbchen zu essen, und gaben sich konfuzianischer als die Konfuzianer. Was den unterjochten Chinesen zumindest im Nachhinein eine Genugtuung war, verschaffte es ihnen doch die Möglichkeit, auch ihre Niederlagen noch in den Beweis für die Überlegenheit der chinesischen Zivilisation umzudeuten (der Schriftsteller Lu Xun widmete diesem Charakterzug seines Volkes – jede noch so demütigende Niederlage wird flugs zum Triumph schöngeredet – eine seiner berühmtestenNovellen. Der Name der Hauptfigur, des ewig sich zum Gespött machenden Verlierers Ah Q, ist als Redewendung in den chinesischen Sprachgebrauch eingegangen: Man spricht vom »Ah-Q-ismus«). Die räuberischen Europäer gewährten diese Genugtuung nicht. Ihre Gier und Aggression ging einher mit technologischer Überlegenheit und eigener kultureller Arroganz. Zum ersten Mal mussten Chinas Beamte, Gelehrte und Studenten das Undenkbare in Betracht ziehen: Die alte chinesische Kultur war bankrott. Der Westen war die Macht, und, schlimmer noch, es sah so aus, als sei er auch die Zukunft.
    China hat an dieser Erschütterung noch heute, mehr als 150 Jahre nach den Opiumkriegen, zu kauen. Sie brachte jene seltsame Mischung aus Größenwahn und Minderwertigkeitskomplex hervor, der man auch heute noch begegnet. Dieser Gefühlsmix steckt wahrscheinlich auch hinter der Begeisterung, die Chinesen an den Tag legen, wenn

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