Gebrauchsanweisung für die Welt
Gabe, nicht das Wunder. Doch dann, nach vielleicht einer halben Stunde, in der wir knapp unter dem Rand des Vulkans gewandert waren, zeigte die 87-Jährige auf die Ebene. »Dort unten«, sagte sie, »habe ich die Nachricht von deinem Kommen erhalten.« (Von meinem Kommen als Gott!) Ich folgte mit dem Kopf ihrer Handbewegung. Und sah das Geschenk. Und hielt den Atem an. Nicht überraschend, dass man in einer solchen Umgebung den Verstand verlor.
Jeder Mensch – und ein Reisender im Besonderen – hat virtuell riesige Bilderbanken gespeichert. Ob er nun fotografiert oder nicht. Und irgendwann fragt er sich, was sein »Bild der Bilder« ist. Das eine, das jedes andere in den Schatten stellt. Das meine, das unübertreffliche, machte ich in diesem Moment. Mit nichts in Händen, nur mit meinen Augen.
Halt ein, Leser, lass mich die Bildbeschreibung noch hinauszögern und die Geschichte von Vasco Núñez de Balboa erzählen. Denn damals auf Tanna fiel sie mir wieder ein. Sie passte. Der Konquistador war, wie viele seiner Kollegen, Spanier, gottesfürchtiger Christenmensch, Mörder, Vielfachmörder, Entdecker und hündisch gierig nach Gold. Und unerhört waghalsig. Irgendwann hatte er gehört, dass am westlichen Rand von Panama (was wir heute so nennen) ein Berg stünde, hinter dem sich ein See befände, »dessen Zuflüsse alle Gold mit sich führten«. Also durchquerte er die Landenge, schlachtete die im Weg stehenden Indios und stand nach drei Wochen, am 25. September 1513, tatsächlich vor dem Hügel. Und de Balboa – er schien durchaus begabt für Drama und Nachruhm – befahl seinen Soldaten, hier zu warten. Er wolle allein den Anblick genießen, allein auf ewig der »erste Spanier, der erste Christ« sein, der die Verheißung zu Gesicht bekomme. Und er bekam sie. »Sprachlos« soll er gewesen sein. Und nannte den See, nachdem er die Sprache wiedergefunden und gemerkt hatte, dass das Wasser nach Salz schmeckte: »la mar del sur«, die Südsee. Und nahm sie – der Weiße Mann kann nicht anders – umgehend für seinen König »in Besitz«. Weitere 165 Millionen Quadratkilometer für die Christenheit!
Himmel, wie menschenfreundlich schien da mein Blick vom 360 Meter hohen Yasur. Serena, die Greisin, zeigte auf ein apokalyptisch schönes Panorama. Da unten lag der Isiwi Lake , millionenfach kleiner als de Balboas Ozean, nur ein Seelein. Aber in dem flachen, smaragdgrünen Teller, vollkommen umrahmt von grauer Lava-Asche, steckten ein halbes Hundert Kokospalmen, die – der Gipfel der Wunderlichkeit – verkehrt herum(!), mit den Wurzeln nach oben, in den Himmel ragten. Erfunden wie pure Science-Fiction, ja, wie ein wild-wahnsinniges Gemälde von Dalí. Doch der Maler hatte immer sein Genie gemalt, sein Unbewusstes, seine halsbrecherischen Kopfgeburten. Doch hier war alles real, wirklich, weltlich, beharrlich vorhanden. Auf unumstößliche Weise konnte ich es sinnlich, mit allen meinen Sinnen, erfahren.
Ich glaube, ich stammelte. Irgendwann hatten die vier Erbarmen und klärten mich auf: Vor nicht langer Zeit war hier der Zyklon Uma über die Insel gewütet und hatte am anderen Ende der Insel mit kosmischer Kraft die Bäume aus der Erde gerissen, sie kilometerweit durch die Luft geschleudert und hier in den Seeboden gerammt. So mächtig seine Gewalt, dass er den Bäumen sogar die Rinde weggefetzt hatte. Wie bleiche Knochen stakten sie nun aus dem türkisfarbenen Wasser.
Ich setzte mich. Um die Druckwellen der Verzückung auszuhalten. Noch gesteigert durch das Zittern und Donnern des Bergs im Hintergrund. Ich saß mitten in einer Apotheose, ja, jetzt war ich tatsächlich Gott, so göttlich beschenkt, so überhäuft. Und die vier sagten kein Wort, taktvoll ließen sie mich sitzen und überwältigt sein. Wie eine Droge fuhr der Anblick von Schönheit in mich. Ich war jetzt nicht mehr zurechnungsfähig, ich war Opfer einer Urgewalt.
Irgendwann riss ich mich los. Nachdem ich das »Bild« immer wieder gescannt hatte. Nichts sollte mir entgehen, alles sollte mich – Pixel für Pixel – für immer begleiten. Erst am Fuße des Vulkans tauchte ich wieder auf, kam zurück in die Welt. Das war der Moment, in dem mir der christliche Seefahrer Vasco Núñez de Balboa einfiel. Und ich laut zu lachen anfing. Denn so spielerisch, so unbekümmert war ich zu meiner Sprachlosigkeit gekommen. Während er – der ehemalige Schweinezüchter, der auf Eroberer umgesattelt hatte – morden und totschlagen musste, um auf
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