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Gebrauchsanweisung für die Welt

Gebrauchsanweisung für die Welt

Titel: Gebrauchsanweisung für die Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Altmann
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seinen Berg zu gelangen. Noch umwerfender erschien mir die Lage, als ich begriff, dass ich den Isiwi Lake nicht besitzen, ja, ihn auch nicht im Namen meines Bundeskanzlers erstürmen wollte. Selbst das Wissen, dass ich nie und nimmer der Erste war, der hier von dieser Glückseligkeit heimgesucht wurde, störte mich nicht. Am allererfreulichsten jedoch war die Gewissheit, dass ich eines Tages nicht enthauptet würde. Wie der »Südsee-Entdecker«. Von einem noch Gierigeren.
    Wir fünf zogen zurück ins Dorf, gerade rechtzeitig, denn Kava time hatte bereits begonnen. Vanuatus Nationalgetränk, eine gepresste Pfefferpflanze mit Wasser vermischt. Eine Promillebombe. Nach zwei Schalen war ich gliederleicht betrunken. Jeder kicherte, selig voll. Sie wussten alle von meinem Glück und lächelten mir zu. Ach ja, dunkel fiel mir ein, dass ich kein einziges Foto gemacht hatte. Ich wäre sicher zu behext gewesen, um den Auslöser zu finden. Wie belanglos, ich glaube ohnehin nicht, dass »ein Bild mehr sagt als tausend Worte«, ich glaube, nein, ich weiß: Ein paar Minuten (leidenschaftlicher) Wirklichkeit zählen heftiger als tausend Bilder.

Moderne Zeiten
    Die grassierende Einsamkeit muss furchtbar sein. Vielleicht war sie früher ähnlich furchtbar, doch gewiss weniger sichtbar. Vor aller Augen. Man sieht erwachsenen Männern zu, die beim Einfahren des Zuges nach ihrem Handy greifen und wissen wollen, ob Mutti oder die Gattin (oder beide) bereits am Bahnsteig stehen. Nachdem sie vorher schon fünf Mal gesimst haben, um ja sicher zu sein. Jeder Schaffner sollte den Herren vor Reiseantritt einen Lolli zustecken. Damit wir sie sogleich erkennen und ihnen ein Taschentuch reichen. Für die vielen Tränen, wenn möglicherweise gerade kein Familienanschluss funktioniert, folglich der 45-Jährige – nur auf sich gestellt – einen deutschen Bahnhof betreten muss. Am helllichten Tag. Mutterseelenallein. Das nackte Grauen.
    Sie erinnern an Schoßhündchen, denen man früher einen winzigen Beutel mit zwanzig Pfennig umhängte. Damit man den Besitzer anrufen konnte, wenn der Vierbeiner sich verlaufen hatte.
    Hier reisen keine Männer, hier fordern Dreijährige Begleitschutz. Die Infantilisierung unserer Gesellschaft hat viele Gesichter. Eines davon: nicht mehr für sich sein können, dafür ununterbrochen behütet werden, ununterbrochen connected , immer online sein müssen. Das scheint mir so schauerlich wie für immer vereinsamen.
    Noch überraschender: Ich flaniere durch eine Stadt und jedes Internet-Café ist brechend voll. Nicht von Einheimischen, nein, von Ausländern. Und emsig hämmern sie in die Tasten. Um die Daheimgebliebenen zu informieren. Aber wie soll das gehen? Über was »Bescheid« geben, wenn man stundenlang hämmert und chattet? Unheimlich, wie intensiv sie kommunizieren. Nur eben nicht mit den Fremden, den vielen draußen vor der Tür. Wie auch vom fernen Land und fernen Leuten erfahren, wenn man keine Zeit investiert, um ihnen nahezukommen? Wie denn etwas Herzbewegendes (Hirnbewegendes) berichten, wenn man sein Herz und sein Hirn nicht anrühren lässt? Wie Leben erfahren, wenn man die Welt links (und rechts) liegen lässt? Wie sich einlassen auf die Gegenwart, wenn man so oft nach Hause »flieht«, in die Vergangenheit, eben immer Kontakt sucht mit denen, die man schon kennt, immer die Sprache spricht, die keine Mühe macht, immer nur jene Gefühle wahrnimmt, die nicht überraschen?
    Ich würde gern erfahren, warum jeder von jedem wissen will, wo er sich gerade aufhält. Will keiner mehr ein Geheimnis haben? Geheimnisvoll sein? Muss einer grundsätzlich mit seiner Großfamilie, den Abertausenden »friends«, unterwegs sein? Darf man sie nicht ab und zu zum Teufel jagen? Weiß keiner mehr, dass alles von sich sagen unheimlich anödet? Vor Jahren fand ich einen Graffito auf einer Hauswand, er klang ziemlich weise: »Denk nicht immer an mich, ich will auch mal allein sein!«
    Oder sitzen hier, in den Netcafés, die Angeber, die nichts Wichtigeres zu tun haben, als die Abwesenden über ihr »Hiersein« zu informieren? Obwohl sie über ihre Anwesenheit nicht viel mehr zu verlautbaren haben, als dass sie hier sind. Ja, so manche fordern die Welt auf, ihrem »Abenteuerblog« zu folgen. Auf dem sie uns vom netten Herbergsvater Antonio oder der herrlichen Spargelsuppe beim superlieben Monsieur Fabrice erzählen. Dazu Bilder liefern, die unseren Helden in Abenteuerstellung zeigen. Von vorne, von hinten, von nah, von

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