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Gebrauchsanweisung für die Welt

Gebrauchsanweisung für die Welt

Titel: Gebrauchsanweisung für die Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Altmann
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will. Weil sie nicht »käuflich« sind, von keiner Zerstreuung. Sie sind mitten in der Welt und vollkommen auf Empfang gestellt. Auf das, was sie aus unmittelbarer Umgebung empfangen. Wie Tiere, die wittern. Das sieht gut aus. Ihre Nähe beruhigt mich, ich beneide sie.
    Zur Klärung: Ich habe mich monatelang in einem japanischen Zenkloster herumgetrieben, nur um eines zu lernen: das Hier und Jetzt. Klingt kindlich einfach und ist mit das Schwerste, was man sich vornehmen kann. Den Kopf so zu trainieren, dass er stets gemeinsam mit dem Körper auftritt, zur genau selben Zeit. Das ist eine fulminante Herausforderung. Und wer mit dem Training nie aufhört, wird auf wunderliche Weise belohnt. Mit etwas ganz Unspektakulärem, das in jeder Sekunde seine Wahrnehmung intensiviert: Er wird mit Welternst und Leichtigkeit sein Leben angehen.
    Albert Einstein – schon wieder er, aber der Alte ist einfach siebengescheit – wurde einmal gefragt, was ihn denn anfeuere, und der 74-Jährige antwortete ohne Zaudern: »Das unwiderstehliche Bedürfnis, dem täglichen Leben zu entrinnen, seiner schmerzhaften Oberflächlichkeit, seiner trostlosen Monotonie.«
    Nochmals zum Stichwort Todesangst. Als am 26. Dezember 2004 der Tsunami über Südostasien hereinbrach, war ich in Thailand. Kaum hatte ich von dem Desaster erfahren, fuhr ich zur Küste an der Westseite. Wo das Unheil gewütet hatte. Freunde vermuteten dort einen gemeinsamen Bekannten, der sich nicht gemeldet hatte. Ich machte mich auf die Suche. Ich ging an Küstenstreifen entlang, auf denen scheußlich aufgedunsene Leichen lagen, und ich ging in (überfüllte) Krankenhäuser und klopfte an. An einem Dutzend Türen. Wer noch reden konnte, der erzählte mir vom Glück des Davongekommenen. Ob Engländer, ob Deutsche, ob Thai, ob Russen oder Inder, Mann oder Frau. Wie von einer fremden Stimme getrieben, schworen sie sich – sie hatten gerade den Verlust ihrer Nächsten und den haarscharf vereitelten Verlust des eigenen Lebens erfahren –, ja, schworen sich: Alles muss anders werden! Sie meinten damit eine radikale Umkehr, ein Versprechen, dass sie wagemutiger sein wollten, ausschließlicher, weniger verfügbar für den billigen Budenzauber. Sie hätten plötzlich erkannt, so beichteten sie mir, dem Wildfremden, dass sie sich mit so vielen Dingen beschäftigt hatten, die keinem anderen Zweck dienten, als die Zeit, ihre Zeit, totzumachen. Wie wunderbar einsichtige Kinder redeten sie. In Sekunden war ihnen – via zwanzig Meter hoher Ozeanwellen – bewusst geworden, wie nachlässig sie mit dem Kostbarsten geschludert hatten, das sie je besaßen, je besitzen würden.
    Sie alle verband etwas Gemeinsames: Sie waren als Reisende unterwegs. So schließt sich der Kreis, denn was bietet mehr Chancen für – bisweilen haarsträubende – Intensität, als die Welt zu durchstreifen, die endlose Schatztruhe? Trägt nicht das Unterwegssein ein heimliches Versprechen in sich? Auf dass wir »Dinge« finden, die wir vorher nicht einmal ahnten? Weil wir ihnen nirgendwo anders begegnen als in der (fernen) Wirklichkeit. Die riecht. Die anmacht. Die Angst macht. Die begeistert. Die eben immer wieder, trotz alledem, diese Wogen der Sehnsucht auslöst.

Wüste
    Die einen wollen aufs Meer, die anderen – wie ich – in die Wüste. Vielleicht suchen wir dasselbe: Stille, Tiefenschärfe, Konzentration. Warum? Weil die Welt, jenseits der Wüste, am horror vacui leidet, dem Grauen vor der Leere. Und wäre sie nicht größer als ein halber Quadratzentimeter.
    Um diese Krankheit zu bannen, haben die meisten beschlossen, jede frei stehende Fläche vollzumachen. Unglaublich, was man alles in ein Wohnzimmer türmen kann. Einst betrat ich ein Apartment, in dem sogar das Sofa besetzt war. Nicht von den Sofabesitzern, sondern von achtzehn (in Ziffern: 18) Kissen. Als ich begann, mir einen Platz freizuschaufeln, stellte ich fest, dass es keine andere Fläche in dem Raum gab, um die Stoffballen zu deponieren. Es war eine bestechend symbolische Szene: ja zu Dingen, nein zur Leichtigkeit. Ich setzte mich auf den Boden. Mit angezogenen Beinen. Der Rest war versperrt.
    Deshalb die Wüste. Erstaunlich, mit welcher Hingabe man dort in die Endlosigkeit starren will. Dabei den eigenen Herzschlag hören, die winzigen Geräusche der Luft, den Windhauch über den Dünen. Hier kann man meditieren. Oder kontemplieren. Oder nur sitzen. Nur schauen. Nur die Augen schließen. Wie ein Katalysator treibt die Leere in ein

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