Gebrauchsanweisung fuer Indien
allzuschnell in Vergessenheit: Manto shudam to man shudir – Ich bin du, und du bist ich.
Der Kampf gegen die Masala-Tradition wird mit deftigen Argumenten geführt:
Die Moslems, so heißt es, vermehren sich so rapide, daß sie bald die Mehrheit der Bevölkerung stellen werden, eine Prognose, die einer einfachen Kalkulation nicht standhält. Laut amtlichen Angaben beträgt das Wachstum unter Hindus 2,19 Prozent im Jahr, bei den Muslimen hingegen etwa 2,71 Prozent. Bliebe es bei diesem Verhältnis, so würden die Muslime erst in vierhundert Jahren die Hälfte der Bevölkerung ausmachen, und das auch nur, wenn das jetzige Bevölkerungswachstum andauert (ich habe meinen Onkel, Doktor der Mathematik, zu Rate gezogen). Dann würde aber Indien fünf Milliarden Seelen zählen, gewiß ein viel größeres Problem als die Tatsache, daß die Hälfte von ihnen Muslime wären. Aller Wahrscheinlichkeit nach wird Indien, so wie es China vorgemacht hat, in den nächsten fünfzig Jahren seinem Bevölkerungswachstum Einhalt gebieten. In diesem Fall bliebe der Anteil der Moslems etwa bei fünfzehn Prozent.
Die moslemischen Könige haben, so lautet ein weiteres Argument, brutal die Zentren der Hindu-Zivilisation zerstört. Zwar stimmt es, daß eine Reihe von Tempeln zerstört wurde, aber die Übeltäter waren keineswegs ausschließlich Moslems, es war nicht Aurangzeb allein, der gegen hinduistische Tempel und Priester gewütet hat. Zwischen 1193 and 1210 plünderte der hinduistische Parmar-Herrscher Jain-Tempel in Dabhoi und Cambay. Der bengalische Herrscher Narendragupta-Sasanka zerstörte alle buddhistischen Sakralbauten, die er finden konnte; der kaschmirische König Harsa ließ in seinem ganzen Reich nur vier Idolfiguren am Leben. Zudem waren die Zerstörungen oft nichts weiter als Plünderungen, denn in den geheimen Kammern der Tempel wurden große Schätze aufbewahrt.
Bis vor zwanzig Jahren gab es abgesehen von den Liedern, die in jedem Film auftauchten, keine Popmusik in Indien. Millionen summten die Schlager von Komponisten wie C. Ramachandra, Shankar und Jaikishan, Laxmikant, Pyrelal und SD Burman, sangen die Texte auswendig. Der Erfolg eines Filmes hing davon ab, ob die Lieder Gassenhauer wurden, so wie ein Jahrhundert früher in Italien die Arien der populären Opern in die Gassen schwappten. Doch obwohl die Filme in Bombay entstanden und die Lieder auf Hindi oder Urdu gesungen wurden, waren sie das Resultat eines erstaunlichen Masala-Mixes.
Der Sound wurde erzeugt von christlichen Musikern aus Goa, bis 1961 eine portugiesische Kolonie, die als einzige Musik für ein Orchester zu arrangieren wußten. Zudem waren sie mit der Harmonielehre vertraut, ein notwendiges Wissen, das den klassischen indischen Musikern abging. Die Komponisten konnten ihre Musik weder aufschreiben noch für das Orchester, das ihre Lieder aufnehmen würde, instrumentalisieren. Sie kamen ins Studio, sangen die Melodie ihrem goanischen Assistenten vor oder spielten sie auf dem Harmonium vor. Der Assistent notierte die Melodie und fügte später selbständig die Teile für die Streicher, die Bläser, das Klavier und das Schlagzeug hinzu. Er mußte sich zudem Übergänge zwischen den Versen und dem Refrain ausdenken. Und so kam es, daß die Goaner, die abends in den feinen Hotels der Stadt Jazz spielten, sich dieses Schatzes bedienten und bei den Übergängen mal einen Lauf Dixieland, Fado, Ellington, Cha-Cha-Cha oder gar Mozart und Bach einfügten. Um die Lieder aufzupeppen, führten sie Rhythmen aus dem Swing, dem Mambo oder der Salsa ein. Und schließlich fiel es ihnen zu, mit dem Orchester zu proben, das fast ausschließlich aus Goanern bestand, die zudem als einzige in der Lage waren, westliche Instrumente zu spielen.
Wer sich über die Vielfalt Indiens informieren will, kann sich nicht auf Radio Mirchi verlassen. Er muß nach Zeitungen greifen.
Die Presselandschaft ist sehr lebendig; neben der berühmten ›Times of India‹ gibt es Hunderte weiterer Tages- und Wochenzeitungen. Die meisten erscheinen auf Marathi, Gujarati, Hindi, Urdu, Telugu oder Tamil und richten sich somit sprachbedingt an eine begrenzte Leserschaft, einen Bruchteil der Gesamtbevölkerung, was im übrigen auch für die englischsprachige Presse gilt, denn laut Schätzungen beherrschen höchstens fünf Prozent der Inder Englisch. Wer auf englisch schreibt, genießt internationales Ansehen und verdient besser, wird aber verdächtigt, nur eine gebildete, verwestlichte
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