Gebrauchsanweisung fuer Indien
Anis, Lorbeerblätter, Pfeffer, alle geröstet und fein gemahlen. Je nach gewünschter Schärfe wird in Indien Chili beigemengt, wodurch die populäre Gewürzmischung garam masala entsteht. Die klassische garam masala der Mughlai- Küche enthält vor allem Kardamom, Zimt, Nelken und schwarzen Pfeffer. Jeder Koch, der etwas auf sich hält, stellt seine eigene Masala her, und die Zusammensetzung, oft von Generation zu Generation weitergereicht, wird streng geheimgehalten. Als eines Tages in einem Restaurant meine Gefährtin extrem allergisch auf das Essen reagierte, weigerte sich der Koch, die Mischung seiner Gewürze zu verraten, unter dem Vorwand, die Masala würde in einer kleinen Stadt im Süden Indiens hergestellt und keiner wisse, woraus sie bestünde. Hausgemachte Masalas unterscheiden sich je nach Region und Gericht. Sie werden nicht nur in Pulverform aufbewahrt und verkauft, sondern, vermengt mit Wasser oder Essig, auch als Paste.
Was in Deutschland als indisches Essen angeboten wird, gehört fast ausnahmslos zur nordindischen Mughlai- Küche, die große Ähnlichkeit mit der Küche der islamischen Nachbarn Pakistan und Afghanistan besitzt. Das Essen beginnt mit Tandoori-Speisen, in einem Tiefofen namens Tandoori gegrilltem Fleisch (Kebab) oder Käse (Paneer Tikka). Schwere Saucengerichte schließen sich an, begleitet von Joghurt (Raita) und Fladenbrot (Naan, Roti, Chapati). Eine besondere Spezialität ist ein richtig zubereitetes Biryani, ein Reisgericht mit Fleischstücken, Rosinen und Nüssen. Und, für Opfer des Chilikultes von Hyderabad besonders wichtig: die Mughlai-Küche würzt schmackhaft, aber nicht scharf. Leider haben Restaurants und Hotels im ganzen Land sich für die Bequemlichkeit einer einheitlichen Fast-Food-Version dieser Küche (Chicken Tikka und Sheekh Kebab allerorten) entschieden, der man beim besten Willen nur schwer entkommen kann.
Natürlich sind viele Inder aus religiöser Überzeugung Vegetarier, wobei es verschiedene Stufen der Radikalität gibt. Die liberalen Vegetarier genehmigen sich Eierspeisen, die strengen Vegetarier hingegen verzichten selbst auf all jene Gemüsesorten, die im Boden wachsen (etwa Zwiebeln und Kartoffeln), weil beim Ernten die Erde so rabiat umgewühlt wird, daß Würmer und andere kleine Tiere getötet werden. Berühmtestes Menü der Vegetarier ist das Thali, eine in unendlich vielen Variationen dargereichte Tafel mit vier bis sechs Speisen in kleinen Schüsseln sowie mehreren Fladenbroten und einem Dessert. Aufgrund der jahrtausendealten Tradition kann die vegetarische Küche Indiens eine solche Vielfalt auffahren, daß man Fleisch kaum vermissen dürfte.
Delhi, die Hauptstadt Indiens, ist eine Metropole, die für jedes Jahrhundert seit Menschengedenken einen eigenen ruinenhaften Abdruck aufweist. Heute hat sie zwei Gesichter, die sich wie ungleiche Brüder unterscheiden – das alte, von den moslemischen Moguln geprägte Delhi, Anfang des 17. Jahrhunderts erbaut, ist ein konzentrierter Anschlag auf die Sinne; das neue Delhi, ab 1911 Hauptstadt von Britisch-Indien, ist ein grandioses Symbol kolonialer Ordnung im neo-klassizistischen Stil. Und doch ist jedes einzelne Gebäude ein richtiger Masala-Mix. Das Grabmal Humayuns, des zweiten Mogulkaisers, vermischt Elemente zentralasiatischer Architektur (etwa die Doppelkuppel) mit Hindu-Motiven. Der Garten verdankt sich einer – aus der islamischen Kultur geläufigen – ausführlichen Ornamentik. Beides sind Beispiele für den geistigen und künstlerischen Dialog, der unter Humayuns Sohn, Akhbar dem Großen, zwischen Moslems und Hindus auf wunderbare Weise gedieh. Nicht nur die erhabenen Bauten von Delhi bezeugen das, sondern auch die Kleidung (etwa das salwar kameez und die pajamas – etymologische Herkunft der französischen ›chemise‹ und der deutschen ›pyjamas‹). Und wenn man heute an einer Unani-Klinik vorbeikommt, sieht man sich einer traditionellen Heilkunst gegenüber, die ursprünglich aus dem antiken Griechenland stammt und mit den Moslems nach Indien gelangte. Sie wird weiterhin praktiziert, ein Sinnbild der kulturellen Wurzeln, die weit über alle Grenzen hinausreichen.
Das Verhältnis zwischen den vielfältigen Welten des Hinduismus und des Islam war keineswegs nur ein feindliches, wie es viele gegenwärtige Verknappungen darstellen, sondern meist ein inspiriertes gegenseitiges Befruchten. Das Pionierwerk eines Astronomen namens Brahmagupta, Brahma-sphuta-siddhanta (›Die genau
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