Gebrauchsanweisung fuer Indien
(das ›ewige Gesetz‹), wie strenge Hindus ihren Glauben nennen, kennt keinen Kanon, keine Linearität. Im Meer geistiger Traditionen existieren die Untiefen alter Opferrituale, dualistische Strömungen und monistische Gegenströmungen, lokale Strudel animistischer Verehrung und hohe Wellen philosophischer Abstraktion. Diese pluralistische Geisteswelt war also wie keine zweite in der Lage, den Islam zu verführen, ihn in eine intime Beziehung zu locken, der allerlei Mischlingskinder entsprangen.
Wie paßt eine derart gelebte religiöse Tradition zu den Behauptungen der hinduistischen Rechten und Ideologen des Kulturkrieges wie etwa V. S. Naipaul, der Islam sei als aggressive, zerstörerische Macht nach Indien einmarschiert und habe das Goldene Zeitalter der hinduistischen Kultur zerstört? Tatsächlich waren die moslemischen Eroberer, seien es Araber, Perser, Türken oder Mongolen, anfänglich brutal wie jede einmarschierende Armee, wie die Hunnen oder Goten, wie die Konquistadoren oder die Wehrmacht. Aber die jeweilige Parteinahme war nicht unbedingt religiös bedingt. Als der Somnath-Tempel im westindischen Gujarat, unweit der Geburtsstadt Gandhis, 1024 von Mahmud von Ghazni zerstört wurde, notierte zwar der Chronist des Eroberers, daß die Ungläubigen hingestreckt waren »wie ein Teppich auf den Boden, als Speise für wilde Tiere und Vögel«. Doch er verzeichnete nicht den Widerstand der arabischen Händler der Stadt, die sich der Zerstörung widersetzten. Und er vergaß zu erwähnen, daß Söldner aus dem südlichen Indien, allesamt Hindus, auf Ghaznis Seite kämpften. Kaum hatten moslemische Generäle und Sultane ihre Herrschaft etabliert, wandten sie sich dem Pragmatismus einer um Machterhalt und Reichtum bemühten Politik zu. Obwohl sich in den Chroniken immer wieder ein bilderstürmerischer Puritanismus entfaltete, im Alltag wurden religiöse Fragen eklektisch gehandhabt. Viele Herrscher beschäftigten hinduistische Minister und assimilierten die hinduistischen Eliten, solange sie ihnen Treue schworen. Konflikte traten meist dann auf, wenn diese Eliten Widerstand leisteten, einen Aufstand wagten. Da in der hinduistischen Tradition die Tempel oft lokale Macht sakral legitimierten (der Maharaja als Inkarnation des Sonnen- oder Mondgottes etwa, wie in Varanasi), waren sie von überragender politischer Bedeutung und wurden daher als vermeintliche Brutstätten der Meuterei zerstört. Zudem galten gemäß den damaligen Gesetzen alle Sakralbauten als Staatseigentum.
Bei den Moguln vermengten sich manchmal sogar islamische und hinduistische Insignien. Der Statthalter des Mogulkaisers Shah Jahan saß bei dem jährlichen Wagenfest des Jagannath- Kultes in Orissa auf einem der reichgeschmückten Triumphwagen, womit er innerhalb des Rituals demonstrierte, daß sich der Kaiser als Schützer und Bewahrer dieser Gottheit verstand.
Die Behauptung eines zivilisatorischen Grabens zwischen Islam und Hinduismus, zuerst von britischen Kolonialhistorikern proklamiert und später von rabiaten Nationalisten auf beiden Seiten fortgeführt, hat sich als selffulfilling prophecy erwiesen. Mit der Teilung des Subkontinents in einen hinduistischen und einen moslemischen Teil wurde ein starrer Status quo etabliert, der wie ein Korsett den Synkretismen in beiden Gesellschaften die Luft abschnürt. Die Zerstörung der Babri-Moschee im nordindischen Ayodhya im Jahre 1992, die einen brutalen Widerhall in Massakern in vielen anderen Städten fand, war der vorläufige Höhepunkt dieser Tendenz. Zwar wurden auch bei dieser Schreckenstat hehre religiöse Argumente ins Feld geführt, doch sie standen im Kontext eines Machtkampfes. Auf dem Höhepunkt der Mogulherrschaft hatte der große Kaiser Akhbar sogar einen eigenen Masala-Glauben unter dem Namen ›Din-e-ilahi‹ entwickelt und mit seiner weitreichenden Toleranz eine der Blütezeiten der indischen Zivilisation ermöglicht. Einige Generationen später wehrte sich einer seiner Nachfolger, der berüchtigte Aurangzeb, gegen den schleichenden Verfall des Reiches, indem er die Differenz zwischen Islam und allen anderen Religionen durch die Einführung einer Steuer für alle Ungläubigen wieder betonte. Die gegenwärtige Dominanz eines feindseligen Kulturverständnisses läßt auf eine tiefsitzende Verunsicherung schließen, die sich durch Konfrontation selbst zu beschwichtigen sucht. In solchen Zeiten geraten die wunderschönen Zeilen des Dichters Amir Khusrau aus dem 12. Jahrhundert
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