Gebrauchsanweisung für Mecklenburg-Vorpommern und die Ostseebäder
überprüfen, weil ich mich nachts nicht in den Darßwald traue.
Wie aus einer verwunschenen Höhle tritt man am Ende aus dem Wald ins Licht an den vielleicht schönsten aller Strände in Vorpommern. Neben der Copacabana und dem Miami Beach wählte der französisch-deutsche Fernsehsender
ARTE
den Darßer Weststrand unter die Top Twenty der markantesten Strände weltweit. Was dem Copacabana Beach die Hochhäuser im Rücken, sind dem Weststrand die windschiefen und sturmzerzausten Bäume, die Windflüchter. Einige von ihnen liegen entwurzelt quer über den Strand, blank geputzt von der salzigen karibisch-blauen See. Ungestüm peitscht sie an das Land, wie ich es von der Ostsee nicht gewohnt bin, poliert die schwarzen Steine, die im Sommer matt und heiß zwischen Muscheln, Treibholz und rosa Krebsen in dem weißen Pulversand liegen. Die Welt befindet sich im Rohzustand. Meer und Wind haben die uneingeschränkte Entscheidungsgewalt. Und sie haben sich gegen Strandkörbe, Porträtmaler, Pommesbuden, Eisverkäufer und Überbevölkerung entschieden. Ungestüm und ungestört verändert der Darßer Weststrand täglich sein Aussehen und seinen Charakter. Mal zeigt er sich wie ein aufmüpfiger Teenager in zerrissenen Hosen, mal ist er laut und stürmisch wie eine ausgewachsene Furie, anderntags ist er sanft, wie ein zufriedenes Kind. Weststrand forever !
Ivenacker Eichen
Beständigkeit, ein Wort, welches ich in Verbindung mit Mecklenburg-Vorpommern nun schon einige Male benutzt habe. Ich setzte darauf, dass sich jeder in dieser schnelllebigen, modernen Welt nach ihr sehnt und nach Mecklenburg-Vorpommern kommt, um sie zu finden. In Berlin ist man schon voller Euphorie, wenn die Cafébesitzerin von einst fünf Jahre später noch an gleicher Stelle den Espresso serviert. Was aber sind fünf Jahre? Lächerlich in Anbetracht der Mecklenburgerin, die bereits seit eintausenddreihundert Jahren lebt und sich immer noch an der gleichen Stelle befindet. Wenn man vor ihr steht, misst die Dicke in Brusthöhe dreieinhalb Meter. Man braucht zwölf erwachsene Menschen, um sie zu umarmen. Sie lässt sich nicht künstlich am Leben erhalten. Umringt von ihren Freunden, die zwar noch nicht ein so hohes Alter wie sie erreicht haben, aber dennoch sehr alt sind, bezaubert sie ihre Gäste. Sie ist die älteste Eiche Mitteleuropas, zu finden in Ivenack (Landkreis Demmin). Die Süddeutsche titelte vor einigen Jahren: Die deutsche Eiche wankt – nicht so in Mecklenburg-Vorpommern, da stehen ein paar betagte Exemplare, und sie gehören zu den wichtigsten Kulturdenkmälern des Landes. Sieben von den dicken Damen waren früher Nonnen. Es heißt, dass es ein paar unglückliche Nonnen hinter den Mauern des Ivenacker Zisterzienserinnenkloster gegeben habe, die einen Pakt mit dem Teufel eingingen. Der versprach, ihnen bei der Flucht zu helfen, stellte aber die Bedingung, dass sie sich bis nach Stavenhagen, und das wären etwa vier Kilometer gewesen, nicht umdrehen durften. Aber die meck-pommersche, ungemein ausgeprägte Neugierde siegte und auf der Stelle verwandelten sich die Nonnen in Eichen. Auf den Grundmauern ihres ehemaligen Klosters, direkt am Seeufer, ist ein barockes Schloss errichtet worden. Später wurde die Anlage mit Kirche, Orangerie, Teehaus und Damwildgehege komplettiert. Wanderwege führen zwischen den Eichen durch das alte Gutsdorf. Wege, die nicht in Santiago de Compostela enden, sondern in Klockow. Und trotzdem hat man eine Unmenge an Kraft getankt, hat sich Gedanken gemacht und ist von dem befriedigenden Gefühl erfüllt, dass es Dinge gibt, die noch da sind, wenn man wiederkommt.
Kraniche
Wenn Sie das Gefühl haben, vom Glück verlassen worden zu sein, fahren Sie im Herbst nach Groß-Mohrdorf, 14 Kilometer nordwestlich von Stralsund. Dort kann man Ihnen in einer ehemaligen Molkerei weiterhelfen. Sie erhalten Auskunft über Plätze, an denen Sie dem Glück begegnen können.
Zwischen September und November wird Mecklenburg-Vorpommern vom Glück heimgesucht. Bis zu fünfzigtausend Kraniche machen mehrere Wochen im Nationalpark Vorpommersche Boddenlandschaft Rast, um auf ihrem 6000 Kilometer langen Weg in die Winterquartiere Energie und Kraft zu sammeln. Und jeden Abend fliegen sie, immer zur gleichen Zeit, über das Haus meiner Eltern hinweg. Dann kehren die Glücksvögel von ihren Futterplätzen ins Nachtquartier zurück. Wenn ich zu Besuch bin, stehe ich vor der Tür, schaue in den Himmel und frage mich, wer zum Teufel denn nun
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