Gebrauchsanweisung für Mecklenburg-Vorpommern und die Ostseebäder
heiraten muss!? Denn in Mecklenburg-Vorpommern heißt es: Fliegt ein Kranich über das Haus, steht eine Hochzeit bevor .
In vielen Kulturen wird der Kranich verehrt. Man glaubte, dass die Seelen Verstorbener auf ihrem Rücken in den Himmel getragen würden. In Irland erhoffte man sich von Kranichhaut eine gute Saat und die Seefahrer eine gute Reise, in China steht dieser Vogel für ein langes Leben, in Japan, wo er noch immer in gefalteter Papierform zu Hochzeiten oder Geburten überreicht wird, gilt er als Friedensvogel und ist ein Symbol für Treue und Beständigkeit, beinahe so, wie man auch einen Meck-Pommer, wenn man ihn etwas faltet, als Symbol für Treue und Beständigkeit überreichen könnte. Vielleicht haben Kraniche inzwischen deshalb diese Region zwischen dem Fischland-Darß-Zingst und Rügen zu den bedeutendsten Kranichrastplätzen Mitteleuropas gemacht. Es heißt, die Theater Mecklenburg-Vorpommerns könnten im nationalen Vergleich nicht mithalten, aber wer einmal ein Naturschauspiel wie das der Kraniche erlebt hat, wird verstummen und nie diese Vorstellung mit einer anderen zu vergleichen wagen. Wer einmal im Frühnebel von einem der vielen Beobachtungsplätze aus den Ruf Tausender Kraniche vernommen hat, ein gewaltig anschwellender Schrei, wer sie tanzen gesehen hat, wie sie in Schleifen um sich herumlaufen, sich voreinander verbeugen und in die Höhe springen und wer Hunderte Vögel geräuschvoll aufsteigen gesehen hat, wie sie sich Gruppe für Gruppe in die Höhe schwingen, der wird sich später sehr wohl an eine Aufführung in Mecklenburg-Vorpommern erinnern können, auch wenn er eine Woche später Tschechow an den Münchener Kammerspielen oder an der Berliner Volksbühne sieht.
Ich erinnere mich an einen frühen Abend, an dem ich zusammen mit vierzehn fremden Menschen in einem Zeesboot vor der Boddenküste ankerte. Wir alle hatten diese Tour zu den Kranichen gebucht, die an diesem Tag laut Tourguide nichts für Frostköttel war. Also rüsteten wir uns nicht nur mit Ferngläsern und Fotoapparaten (die, als es drauf ankam, jeder vergaß), sondern auch mit Thermoskannen und wattierten Jacken. Während wir in der Abenddämmerung auf den Einfall der Kraniche warteten, spielten wir: Wer hatte den längsten Anreiseweg . Ich schummelte. Obwohl ich gerade bei meinen Eltern zu Besuch war und keine 40 Kilometer zurückgelegt hatte, gab ich Leipzig, meine Studienstadt, als Anreiseort an. Ich schaffte es mit 450 Kilometern trotzdem nur bis ins gute Mittelfeld. Heiner aus Heilbronn gewann, auf den nächsten Plätzen folgten Darmstadt, Erfurt und Hameln. Der Kranich-Guide erzählte, dass zur Zwischenrast zuerst die Junggesellen ankommen, danach die Paare und zuletzt die Familien. Wir lachten darüber, weil wir das so putzig (Erfurt) und typisch (Darmstadt) fanden. Der Guide mahnte uns immer wieder zur Ruhe, weshalb wir flüsterten und kicherten wie in einem Jugendheim-Schlafsaal. Jemand reichte eine Tüte Chips herum, und gerade als wir alle reichlich davon im Mund hatten, blieben sie uns buchstäblich im Halse stecken. Zuerst zehn, fünfzig, später Hunderte, Tausende Kraniche schwangen direkt über uns die Flügel. Vor der roten Abendsonne verdunkelte sich der Himmel, riss auf, flatterte. Wie Störche, sagte Heilbronn-Heiner. Des isch unbelievable , fasste er unser aller Gefühl zusammen. Unvergesslisch , ergänzte Erfurt. Nur ich hatte ein mulmiges Gefühl und fragte mich, wo Hitchcock sich eigentlich zu seinem Meisterwerk hatte inspirieren lassen.
Tipp : Im Kranich Informationszentrum Groß-Mohrdorf kann man Ihnen sagen, wo Sie die Vögel bei ihrer Nahrungssuche oder ihrem abendlichen Einfall in ihren Schlafplätzen optimal beobachten können. Für gewöhnlich hat man tagsüber vom Kranich Utkiek (eine ehemalige Kartoffellagerhalle) in Hohendorf einen phantastischen Blick auf Nahrung suchende Kraniche. Gute Beobachtungsposten für den Abend befinden sich bei Bisdorf an der südlichen Boddenküste, in Tankow auf der Insel Ummanz und am Pramort (Ostzingst).
Was den Anhängern amerikanischer Reiseart entgegenkommen mag: Am besten beobachtet man Kraniche aus dem Auto. Menschen gegenüber sind sie sehr misstrauisch. Ihre Fluchtdistanz liegt in Schweden zwar nur bei etwa 50 Metern, in Mecklenburg-Vorpommern, wo genervte Bauern schon mal einen Böller zünden, allerdings bei 300 Metern, und in Spanien, was auch immer dort geschehen mag, flüchten die Vögel schon, wenn ein Mensch sich auf nur einen
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