Gebrauchsanweisung für Mecklenburg-Vorpommern und die Ostseebäder
gefürchteten Dumping-Touristen den schnieken Binzer Cafés und Stränden fern. Block I und II sind 2006 an den Sohn Ernst Buschs und dessen Partner verkauft worden, die seither von Balkonen, Wellness und Eigentumswohnungen reden. Block III beherbergte noch vor wenigen Jahren eine Museumsmeile (ähnlich der Berliner Museumsinsel oder dem Wiener Museumsquartier , nur ganz anders), die unter anderem aus dem
NVA
- und dem
KdF
-Museum bestand. Derzeit wird dieser Block zur Freizeit- und Hotelanlage umgebaut. Block V wird zur Jugendherberge umfunktioniert, der sich daran anschließende Jugendcampingplatz existiert bereits. Und solange in Prora noch das Tauziehen um die tatsächliche Nutzung und Finanzierung andauert, hat man auf circa vier Hektar derweil einen Waldseilgarten gebaut: Ein Klettererlebnis für die ganze Familie ! Für Familien, denen das bloße Herumliegen am nahen Strand, das Eisgekleckere, das Meeresrauschen und das Beobachten der weißen Möwen am hellblauen Sommerhimmel und der weißen Segel am Horizont einfach zu kitschig ist.
Putbus
Dieses Städtchen auf Rügen ist wahrlich absonderlich. Vor weißen Häusern wachsen apart zurechtgemachte Rosenstöcke. Den Mittelpunkt dieser Stadt Putbus ( epod boz – hinter dem Holunderstrauch) bildet der Circus, ein Platz, der von sechzehn klassizistischen Häusern umstanden ist. Wie eine Torte, eine Spieluhr oder ein umgekipptes Riesenrad sieht der Circus von oben aus. (Geschäftsidee: eine Drehleiter kaufen und Touristen für fünf Euro mitten auf dem Platz nach oben fahren lassen.) Der Tourist schlurft von Haus zu Haus und stellt fest: Hübsch restauriert, aber irgendwas stimmt hier nicht. Putbus ist für mich eine Hüllenstadt. Die Hülle ist bezaubernd, das Innere leer. Man möchte diesem kleinen, aus der Zeit gefallenen Ort, der putzig und nicht zu knapp exzentrisch ist, durch manche Fensterritzen etwas mehr Leben einhauchen. Wenn ich hauchen dürfte, dann zuerst dem wunderbar absurden und leer stehenden Hotel du Nord .
Fürst Wilhelm Malte I. erfüllte sich vor etwa zweihundert Jahren seinen Traum. Von seinen Reisen nach England und Italien inspiriert, machte er aus seinem Provinznest ein klassizistisches Seebad, nur ohne See, denn das Meer befindet sich einige Kilometer entfernt. Die sogenannte, womöglich selbsternannte heimliche Hauptstadt Rügens (man darf auch Weiße Stadt oder Rosenstadt sagen) ist die jüngste Residenzstadt Deutschlands; rasant gewachsen wie Las Vegas, nur einen Tick reduzierter.
Innerhalb von nur vier Jahrzehnten entstanden in Putbus Gast- und Logierhäuser, ein Theater, Bäckereien, Schulen, Hotels, Straßen, Handwerker- und Beamtenwohnungen, Badehäuser, ein Musikpavillon. Von weniger als hundert schnellte die Zahl der Einwohner zwischen 1817 und 1850 auf eintausendvierhundert. Wenn man also sagt, Putbus sei eine junge Stadt, so meint man das sicher nicht in der Art, wie man sagt, Tel Aviv oder Madrid seien junge Städte.
Die Putbuser Einwohner erkennt man daran, dass man ihnen nicht begegnet. So selten wie Sternschnuppen tauchen sie irgendwo kurz auf, um schnell wieder von der Bildfläche zu verschwinden. Putbus ist vielleicht die einzige Stadt, in der mehr weiße Hirsche zu sehen sind als Einwohner.
Nachdem die Touristen im Circus herumgelaufen oder -gefahren sind wie Rummelpferdchen, fangen nicht wenige von ihnen an, das Schloss zu suchen. Sie schleichen im Park herum, erst noch auf die entspannte Spaziergängertour, später forschen Schrittes und dann in großer Hektik. Sie suchen und wundern sich und finden es nicht, das Putbuser Schloss. Jedenfalls geht es denjenigen so, die ihren Reiseführer im Antiquariat gekauft haben. Für alle Sparfüchse: Das Putbuser Schloss wurde 1962 gesprengt. Ich will nicht wissen, wie oft Bratwurst-Ursel im Rondell darüber Auskunft geben musste. Erschöpft stehen die Touristen dann vor dem Wildgehege und füttern die weißen Hirsche. Und die Hirsche wundern sich, warum die Touristen einen so desolaten Eindruck machen, schließlich haben die soeben einen der schönsten Parks Norddeutschlands durchschritten. 1725 als barocker Lustgarten angelegt, gestaltete Fürst Malte den Park im Stil eines englischen Landschaftsparks um. Der Park ist größer als hundert Fußballfelder, auf denen man zwar das berühmte Schloss nicht mehr findet, dafür eine Orangerie (mit dabei: vier Grabsteine von einem Hundefriedhof aus dem 19. Jahrhundert), den Marstall, ein Affenhaus, ein Wildgehege und ein Mausoleum,
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