Gebrauchsanweisung fuer Oesterreich
eine Suppeneinlage erwähnt werden, mittels des Zerschneidens in bandförmige Nudeln, die dann Frittaten heißen, nach dem italienischen frittata (Eierkuchen). Und damit sind wir beim heikelsten Thema überhaupt angelangt: der österreichischen Suppe. Wenn man nämlich eine Verbindung zwischen Magie und Essen herstellt und daran glaubt, daß manche Speise sich besser eignet als andere, Abhängigkeiten zu schaffen, Liebe oder Haß zu erwecken, Zungen zu lösen oder Münder zu verschließen, das Beste und das Schlechteste aus einem Menschen herauszuholen – also Hexerei zu betreiben —, dann ist die österreichische Suppe das herausragende Medium. Gerade weil sie nicht so dramatisch oder dramatisch bescheiden daherkommt wie irgendeine neue Küche, irgendeine Präsentation des Exotischen oder Wiederentdeckten.
Und das ist wohl der Grund, daß, sobald Österreicher vor einer Suppe sitzen, sie vollkommen konzentriert sind. Als ahnten sie, daß mit dem Genuß dieser Suppe etwas Entscheidendes mit ihnen geschieht. Sie sind jedenfalls vorbereitet, während der Ausländer oder frisch Zugezogene sich dieser Gefahr oder Möglichkeit selten bewußt ist. Aber ich denke, daß natürlich auch der Österreicher die Bedeutung der Suppe nur intuitiv wahrnimmt und nicht etwa konkrete Vorstellungen damit verbindet. Also etwa meint, der Teufel oder der liebe Gott würde aus dieser Suppe herauslächeln. Obgleich das höchstwahrscheinlich der Fall ist.
Eine österreichische Suppe muß nicht nur heiß, sondern brennheiß sein. Es ist ganz wichtig, daß man sie nicht sofort verzehren kann, sondern zunächst eine ganze Weile auf die Oberfläche blasen muß und dabei den aufsteigenden Dampf inhaliert. Über die Suppe beugt man sich. Man könnte aber auch sagen, man verbeugt sich vor ihr. Vor der Majestät, die sie ist: die Rindsuppe. – Es ist ein großer Unterschied, ob man ein Stück Fleisch zu sich nimmt oder eine Flüssigkeit, in der dieses Fleisch quasi gebadet und einen informativen Extrakt zurückgelassen hat, mehr eine Spiegelung des Fleisches, was wortwörtlich zu nehmen ist: Rindsuppen glänzen. Und sie besitzen eine Tiefe. Ein gute Rindsuppe wirkt stets tiefer, als sie auf Grund der Bedingungen des Tellers sein kann. Eine schlechte Rindsuppe erinnert dagegen an eine Pfütze, oder sie glänzt viel zu stark, wie man das von falsch gehängten alten Gemälden kennt.
Wichtig ist natürlich der kleingehackte frische Schnittlauch, der über die Oberfläche treiben sollte und welcher bei der Bewertung von Glanz und Tiefe wie die Zeichen und Symbole auf einer Wetterkarte funktioniert. Wenn es möglich ist, sollte man zuerst einmal die Rindsuppe ohne Einlage probieren, wie man ja auch einem hellen Tag zunächst ohne Sonnenbrille begegnen sollte, um dessen Helligkeit richtig einzuschätzen. Man vergißt sonst, was Licht überhaupt bedeutet.
Aber es darf hier natürlich nichts gegen die Einlagen gesagt werden, vor allem nichts gegen Grießnockerln, Leberknödel oder Tiroler Speckknödel, bei denen man die Hand der Köchin oder des Kochs besonders gut spürt. Ja, bei Grießnockerln drängt sich der Begriff »handwarm« auf, und ich kann mir schwerlich vorstellen, daß sich, vom magischen Standpunkt aus gesehen, Grießnockerln zu etwas anderem als Freundlichkeit und Fürsorge eignen. Während ich mir bei der Leberknödelsuppe da nicht so sicher bin, jener von Thomas Bernhard im Theatermacher so titulierten »Existenzsuppe«. Nicht weil der Knödel so dunkel und schwer ist und das Nockerl so hell und leicht, sondern weil beim Formen eines Fleischknödels die Palette an Gefühlen, die in diesen Knödel hingedrückt und gepreßt wird, ungleich größer ist. Ein Grießnockerl aber kann nicht anders als mit einer zärtlichen Zurückhaltung modelliert werden (was Routine nicht ausschließt, gerade die Zurückhaltung benötigt Meisterschaft).
Vergleichsweise uninteressant ist da die Nudelsuppe, zumindest, seitdem kaum noch jemand die Nudeln selbst herstellt. Wo dies aber der Fall ist, muß dem Esser bewußt sein, es hier mit ganz besonderer Hexerei zu tun zu haben. Wobei ich allerdings nicht glaube, daß ein Esser wirklich eine Chance besitzt, die Folgen eines bestimmten Essens mitzubestimmen. Aber es ist doch ein Unterschied, ob man sehenden Auges oder aber blind und blöd in den Abgrund oder den Himmel marschiert. Beziehungsweise bleibt, wo man ist.
Meine Vorstellung von der österreichischen Suppe ist immer die einer klaren Suppe.
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