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Gebrauchsanweisung fuer Oesterreich

Gebrauchsanweisung fuer Oesterreich

Titel: Gebrauchsanweisung fuer Oesterreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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Thirring, die bereits 1918 die These von rotierenden schwarzen Löchern aufstellten, welche in der Art von Wasserstrudeln den umliegenden Raum mit sich reißen. In Österreich gerät man andauernd in solche zyklonischen Situationen, in denen alles — die Gegenstände, die Menschen, die Argumente — in das Innere eines Kreisels gelangen, wodurch ein sehr unklares Bild der Positionen entsteht. Auffallend dabei ist der souveräne oder lässige Umgang mit dieser Unklarheit. Man kann das oft am politischen Diskurs erleben, wenn widersprüchliche, ungenaue, wild kreisende oder einfältig in ruhiger Mitte schwebende Gedanken mit großer Selbstverständlichkeit und einigem sprachlichen Witz vorgetragen werden. Man kann sagen, daß mit der gleichen spielerischen Eleganz, mit der etwas Richtiges offeriert wird, auch etwas Falsches zur Präsentation kommt, die Wahrheit wie die Lüge, so, als käme es auf den Unterschied gar nicht an, als hätte in einer »ornamentalen« Welt beides seine Berechtigung, beides den gleichen Grundwert, den gleichen Strudelwert. Als sei der Unterschied maximal ein ästhetischer. In einem Strudel kommt es nicht darauf an, was gesagt wird, sondern wie es gesagt wird. Eine Lüge kann viel länger bestehen, wenn es eine schöne Lüge ist. Für die Wahrheit gilt das freilich genauso.
    Daß einem in einem Strudel schwindelig wird, versteht sich. Nun, es wird einem auch nach einigen Gläsern Wein schwindelig, ohne daß man sich gegen den Wein wendet oder meint, er würde einen blöd machen. An ein Schwindelgefühl kann man sich gewöhnen, bis man es nicht mehr bemerkt oder es im Sinn einer evolutionären Anpassung für ein normales Leben sogar notwendig ist. Helmut Qualtinger sagte sehr richtig, Österreich sei »ein Labyrinth, in dem sich jeder auskennt«.
    In den Strudeln des Landes rotieren die Menschen, rotieren ihre Gedanken. Was nicht im Widerspruch zur oft kolportierten Langsamkeit der Österreicher steht. Erstens sind sie nicht wirklich langsam, sondern umständlich (man könnte auch sagen künstlerisch, Loos würde sagen kunstgewerblich), und zweitens befinden sich die meisten Österreicher in den oberen Sphären des Strudels oder seiner Peripherie, dem Ereignishorizont. Die größte Kunst freilich ist es, tief drinnen im Strudel zu stecken, selbst aber vollkommen ruhig zu bleiben. Eine Kunst, die den Bürokraten nachgesagt wird.
    Auch dieses Büchlein folgt wie selbstverständlich der Form des Strudels.
    Der bekannteste Strudel ist natürlich der Apfelstrudel, dieser mit zerkleinerten, blättrig geschnittenen oder geraspelten Äpfeln, ausreichend Rosinen, etwas Zimt, vielleicht auch gehackten Walnüssen sowie gerösteten Semmelbröseln gefüllte, spiralig eingedrehte Teigkörper, der in seiner Größe und Form an ein Harmonium erinnert. Aus dem Backrohr genommen, wird er nach kurzer Abkühlung mit Staubzucker bestreut, von Banausen leider auch mit Schlagobers versehen, sehr schlimm, oder Vanilleeis, noch schlimmer. (Sie sehen schon, ich bin ein Vanilleeisfeind. Ich kann die eigentliche Funktion von Vanilleeis nicht erkennen, nicht einmal als Ornament.)
    In Anleitungen zur Strudelherstellung wird immer wieder darauf hingewiesen, daß der Strudelteig aus Mehl, Salz, Öl und Wasser so lange ausgezogen, also auseinandergewalzt gehört, bis man durch die dünne Teigschichte hindurch eine darunterliegende Zeitung lesen könnte. — Das ist so leicht dahingesagt. Aber welche Zeitung bitte schön möchte man durch einen Strudelteig lesen? Welche Zeitung paßt? Eine gute oder eine schlechte Zeitung? Gibt es überhaupt gute Zeitungen in Österreich? Außerdem: Wenn zuvor gesagt wurde, daß im »österreichischen Strudel« das Falsche und das Richtige, Treffer und Fehlschuß, Lüge und Wahrheit gleichberechtigt sind, dann muß dies wohl erst recht für die Medien gelten.
    Darum möchte ich erneut eine ästhetische Entscheidung treffen und meinen, daß es am schönsten wäre, die lachsrosa eingefärbte Tageszeitung Der Standard hinter der feinen Nebelwand des gezogenen Strudelteigs zu studieren, obgleich diese Zeitung eigentlich eine der beiden »Achselzeitungen« darstellt, das sind nach meinem Verständnis Zeitungen, welche von gebildeten Menschen in dekorativer Weise unter die Achsel geklemmt werden. In der linken Achsel eben Der Standard und in der rechten Achsel Die Presse. Hätte der Österreicher eine dritte Achsel, würde er dort wahrscheinlich die Salzburger Nachrichten unterbringen. Der Kurier

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