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Gebrauchsanweisung fuer Oesterreich

Gebrauchsanweisung fuer Oesterreich

Titel: Gebrauchsanweisung fuer Oesterreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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Vielleicht, um wenigstens irgendwo Transparenz vorzufinden, im Bergsee und in der Suppe, während die ansonsten so ornamentale Welt nur selten echte Durchblicke zuläßt.
    Freilich gibt es auch gebundene Suppen, die man aber eher als volle Mahlzeiten oder Kraftstoffe bezeichnen sollte und welche ja in früheren Zeiten den hart arbeitenden Bauersleuten und Knechten als Frühstück dienten. Ich finde diese Suppen prinzipiell unheimlich, und die unheimlichste von ihnen ist sicherlich die steirische Klachelsuppe, für deren Zubereitung man eine Schweinsstelze benötigt, wobei das vom Knochen gelöste Fleisch gewürfelt wieder in jene Suppe gelangt, in der es gerade weichgekocht wurde. – Während also in der klaren Rindsbrühe »das Fleisch sich spiegelt«, hat es in der Klachelsuppe etwas von einer gescheiterten Auferstehung an sich. Und so schaut es ja auch aus, wenn das Fleisch in der mit Mehl und Sauerrahm versprudelten und eventuell mit gehacktem Wurzelwerk vermengten Flüssigkeit schwimmt. Ausgesprochen irdisch. Serviert wird die Klachelsuppe traditionellerweise mit einer Schüssel Heidensterz, welcher, wenn steirisch, aus Buchweizenmehl hergestellt wird, also aus einem Korn, das aus heidnischen Ländern stammt. Der Sterz ist echte Nahrung. Wer ihn zu sich nimmt, wird ein richtiger Kerl oder ein richtiges Weib. Also Leute, die nicht gleich umfallen, wenn man sie einmal schief anschaut.
    Diese Klachelsuppe paßt ganz ausgezeichnet zur namensgebenden Steiermark, von deren Bewohnern es in einem Lied heißt, sie seien so groß und stark und seien wie die Tannenbäume. Wien mag als Landeshauptstadt noch immer eine Art Labor darstellen (ein Max-Planck-Institut des regierenden Wahnsinns) und als vergoldeter Wasserkopf das kulturelle Zentrum des Landes bilden, aber die Steiermark ist sein pochendes Herz. Ein grünes Herz, wie es heißt, und tatsächlich hatte ich als Urlauberkind im Steirischen oft den Eindruck, daß jeder Grashalm hier ungleich grüner und saftiger sei als anderswo; ja unbedingter, gewissermaßen radikales Grün. Und weil es sich also um ein Herz handelt, hat man in der Steiermark auch immer das Gefühl, der Boden unter den Füßen würde ein wenig beben.
    Irritierend an diesem österreichischen Herz ist nur, daß es sich bei seinen Bewohnern um vom Katholizismus zurückeroberte Protestanten handelt. Das erklärt dann doch, daß bei aller barocken Lebenslust des Österreichers auch ein schwermütiges wie ein widerspenstiges Element mitschwingt. Das katholische Blut wird durch das evangelische Herz gepumpt. Daraus ergibt sich nicht zuletzt eine relativ geringe Begeisterung der Österreicher für den Papst und seinen Vatikan. Die Österreicher nehmen »Kirche« wörtlich. Das heißt, sie interessieren sich eher für das konkrete Bauwerk und die darin stattfindenden Bräuche beziehungsweise die darin offenbarte Kultur als für das himmlische Gebäude und die damit verbundenen moraltheologischen Spitzfindigkeiten. Der Papst bleibt ihnen ein Fremder, eine ferne Autorität, welche Italiener und Polen und Afrikaner dirigiert. So tiefkatholisch die Österreicher sind, halten sie sich für auserwählt, ohne genau sagen zu können, welche Funktion, welches Ziel mit diesem Auserwähltsein verbunden wäre. Auf das Ziel kommt es ja gar nicht an. Auch nicht auf den Weg (was mindestens so banal wäre), sondern, wie bereits erwähnt, auf den Umweg.
    Aber zurück zur Steiermark, mit der ich in erster Linie die Welt der Pilze verbinde. Natürlich stehen auch anderswo Pilze herum, aber so, wie hier das Grün grüner scheint, scheinen die Pilze fundamentaler, die giftigen giftiger und die eßbaren bekömmlicher. Wer in die Steiermark reist, sollte sich die Zeit nehmen, Pfade abseits touristischer Zonen einzuschlagen, um am Rande der Wälder auf einen Parasol zu treffen, den schönsten und edelsten (ich möchte sagen menschenfreundlichsten) aller Pilze. Er versteckt sich nicht, er offenbart sich.
    Nach einem Pilz sollte man ohnehin nie suchen, sondern vielmehr ihm begegnen. Daß sich manche Schwämme mittels optischer oder faktischer Giftigkeit schützen, ist wiederum verständlich. Anders der Parasol, dieser mit einem großen, hellbraunen, schuppigen Hut ausgestattete Riesenschirmling, der über ein fischartig weißes Fleisch verfügt und zumeist in Kleinfamilien auftritt.
    Essen Sie nur einen Parasol, den Sie auch selbst gepflückt haben. Suchen Sie sich in der nächsten Umgebung eine vertrauenswürdige Köchin (oder einen

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