Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gebrauchsanweisung fuer Oesterreich

Gebrauchsanweisung fuer Oesterreich

Titel: Gebrauchsanweisung fuer Oesterreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
Vom Netzwerk:
Geheimniskrämerei, ihren komplexen Verfahren und symbolträchtigen Formen entwickelt. Wenn wir vor einer Teigtasche sitzen, sollten wir davon ausgehen, daß die Köchin oder der Koch mehr hineingelegt haben als ein Gemisch schlichter Zutaten. Kochen ist ein populärer Teil der Metaphysik.
    Die Kärntner Nudel ist also eine solche gefüllte Tasche, welche jedoch sogar die Größe eines in sich zusammengezogenen Igeljungen erreichen kann. Am bekanntesten sind die Kasnudeln mit einer »Innerei«, die aus einer mit Minze gewürzten Mischung aus Topfen und gestampften Erdäpfeln besteht, wobei man in früheren, sparsameren Zeiten sich auch mit einer bloßen Kartoffelfüllung beschied. Das Geheimnisvollste an diesem Essen, welches mit zerlassener Butter serviert wird, ist der Moment der Taschenöffnung. Man meint, ein Geist entweiche. Und das tut er ja ganz sicher. Man kann es richtig hören. Die Nudel in der Folge auch noch zu essen, kann dann nicht mehr schaden. Man ist so oder so verhext.
    Als Süßspeise erscheint die Kärntner Nudel in Form der Kletzennudeln. Hierbei ist in den Taschenraum eine Masse einquartiert, die entsteht, wenn man eingeweichte Kletzen oder Dörrbirnen durch einen Fleischwolf dreht und mit Topfen und Honig vermengt. Außen auf die Hülle fügt man zerlassene Butter und zerlassenen Honig – weil Gemälde nun mal einen Firnis brauchen – sowie Zimt und Zucker, wenn’s denn unbedingt sein muß (was ich aber so unnötig finde, wie gefirnißte Gemälde hinter Glas zu stellen).
    Entscheidend für diese Nudeln ist bezeichnenderweise nicht ein geschmacklicher, sondern ein optischer und ornamentaler Aspekt, nämlich das »Grändeln«, dank dessen die zusammengefügten beiden Teigränder verschlossen werden. Indem man mit der Fingerspitze in gleichmäßigen, kurzen Abständen in die Teigfläche drückt und ein wellenartiges oder zopfformiges Muster herstellt, wird die Tasche praktisch zugenäht. Daß dies der wohl wesentlichste Teil der Magie ist, das rituelle Verschließen, versteht sich und wurde in früheren Zeiten auch dementsprechend hochgehalten.
    Ich erlaube mir an dieser Stelle eine Passage aus einem meiner Romane zu zitieren: »Viola genoß die Macht, über die allein kochende Frauen verfügen, gleich ob sie schwerbusige Matronen oder schlanke, feinnervige Trägerinnen von Sportunterwäsche sind. Wenn sie kochen, richtig kochen, und ihre Männer, alle Männer, wohlweislich aus der Küche verbannen und es nicht zuletzt unterlassen, selbige Männer zum Zwiebelschneiden und Kartoffelputzen abzukommandieren, erhalten sie sich die Kontrolle derer, die füttern, über die, die gefüttert werden. Wenn sie denn wissen, was sie mit diesem Füttern bezwecken wollen.« (aus: Die feine Nase der Lilli Steinbeck)
    Diese Viola ist übrigens eine erfolgreiche und vielbeschäftigte Geschäftsfrau, die keineswegs über ein Zuviel an Zeit verfügt. Doch wenn man auf die zeitsparenden Vorteile industrieller Fertigkost verweist, muß man sich auch fragen, ob diese »gewonnene Zeit« die »verlorene Macht« aufwiegt. Zeit nämlich wofür? Fürs Sportstudio, diesen deprimierenden Ort physischer Korsettierung? Als hätten wir die körperbezogenen Maßregelungen des neunzehnten Jahrhunderts nie überwunden.
    Ich kann mich gut an die leidenschaftliche Kocherei meiner Großmutter erinnern, einer vielbeschäftigten Wirtshauschefin mit böhmischen Wurzeln, die den geheimnisvollen Namen Halala trug. Alles, was sie kochte, vor allem aber die Mehlspeisen, besaßen Stück für Stück eine spezielle Form. Wie ja auch ein Maler kaum zwei vollkommen identische Bilder herstellt, außer er ist ein Fälscher, und meine Großmutter war natürlich keine Fälscherin. Etwa ihre Faschingskrapfen, denen man stets das Plastische ansah, also die Hand, in der sie entstanden waren. Manche waren recht klein, andere riesig, einige besaßen die klassische ovale Form, andere hätte man für ein kleines Herz, eine Birne oder zwei verschmolzene Monde halten können. So unterschiedlich sie aussahen, besaßen sie immer die gleiche Signatur und schmeckten alle gleich gut. Ich habe die Außenhaut ausgesprochen fettig in Erinnerung, wunderbar fettig, dahinter dann der lockere, luftige Teig. Und irgendwo in diesem Raum kleiner Waben die mit Marmelade gefüllte Höhlung, der unterirdische Geleesee.
    Selbige Einmaligkeit des »Objekts« galt natürlich ebenso für die mit Powidl (Pflaumenmus) gefüllten, mit Mohn bestreuten, mit Staubzucker berieselten

Weitere Kostenlose Bücher