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Gebrauchsanweisung fuer Oesterreich

Gebrauchsanweisung fuer Oesterreich

Titel: Gebrauchsanweisung fuer Oesterreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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Besetzung des Geländes, aufgespalten in mehrere Zeltlager, wurde währenddessen professionalisiert, auch fraternisierten die Besetzer mit den Bauern der Umgebung. Von anfänglichen Scharmützeln abgesehen, ging es ausgesprochen kultiviert zu, mitunter universitär. Die Zoologen hatten das Sagen. Mit einigem Bedauern lehnte die österreichische Tabakregie eine Bitte der Besetzer um kostenlose Zur-Verfügung-Stellung von Zigaretten mit dem Hinweis ab, bereits die eingesetzten Polizeibeamten auf diese Weise zu versorgen. Was dann nichts daran änderte, daß Gendarmen und Besetzer beim abendlichen Lagerfeuer sich gegenseitig Zigaretten anboten. Nicht, daß man zusammensaß, man stand, hochverehrt, wie bei einem diplomatischen Empfang, freundlich diskutierend. Dazwischen das Hundegebell, da sowohl Polizei als auch Besetzer selbstredend ihre »Haustiere« dabeihatten, demokratisierte Jagdhunde. Jedenfalls war bald klar, daß die Leute, die das Schicksal und die Politik hier zusammengeführt hatten, wohl kaum – wie das nämlich allgemein erwartet wurde — aufeinander einprügeln würden.
    Sehr viel feindseliger war da die Haltung der Gewerkschaft, deren Niedergang in dieser Zeit sich bereits ankündigte. Gewerkschafter diffamierten die Demonstranten als von Steuergeldern lebende Studenten, die, statt zu studieren, nichts anderes im Sinn hätten, als wegen dem bißchen Natur die Arbeiter um ihre Arbeit bringen zu wollen. Es waren deutlich Töne zu vernehmen, die ein Eingreifen der Arbeiterschaft in der Au ankündigten. Als hätte man nichts gelernt. Aber Lernen, etwa aus der Geschichte, ist mitnichten eine österreichische Leidenschaft. Und wie gesagt, die Gewerkschaft war zu dieser Zeit bereits in die Phase ihrer Selbstzerstörung eingetreten, ein Akt, der in den folgenden zwei Jahrzehnten mit größter Intensität betrieben wurde, solcherart Populisten wie Haider in die Hand spielte und im Skandal um die Gewerkschaftsbank BAWAG nicht überraschend, sondern logisch mündete. Am Ende steht immer eine Bank, die zusammenbricht.
    Nach meiner Meinung war der Polizeieinsatz in der Hainburger Au, der dann geschah – wohlweislich mit Beamten, die nicht an den Lagerfeuern gestanden hatten, ein Einsatz, welcher mit einer quasi theatralischen Härte erfolgte (wozu auch die großflächige, allerdings außerhalb des eigentlichen Baugeländes erfolgte Rodung gehörte) —, war dieser Einsatz also nur darum geschehen, um eine organisierte Arbeiterschaft daran zu hindern, sich an den Studenten gütlich zu tun. Die Medien hingegen sahen vor allem die Gewalttätigkeit der Exekutive; an erster Stelle tat dies die Kronen Zeitung, ansonsten kaum eine Freundin von Protestierern, die nun aber von der »Schande von Hainburg« sprach, ja, so wie die Deutschen einst die »Schande von Córdoba« beklagt hatten.
    Doch wie gesagt, der Polizeieinsatz war eine Farce gewesen, eine Inszenierung. Eine Watschen, um eine andere Watschen zu verhindern. Jedenfalls erfolgte hernach keine Eskalation, sondern eine Beruhigung. Der SPÖ-Bundeskanzler Sinowatz, welcher eine kleine Koalition mit der FPÖ führte (die damals gerade erst in den Startlöchern ihrer rechtsnationalen Wiedererweckung hockte), traf sich mit Konrad Lorenz wie mit einem alten Monarchen und verkündete sodann einen »Weihnachtsfrieden«, auf daß die jungen Leute heim zu ihren Familien fahren könnten. Danach erlahmte der ganze Konflikt. So wie man sagt: Alle Kinder gingen ins Bett und schliefen — müde vom Tag — auch sofort ein. Schlußendlich verzichtete man auf das Kraftwerk, wie man auf eine heiße Schokolade verzichtet, die vom vielen Herumstehen eben keine heiße Schokolade mehr ist. (Man sollte viele Dinge einfach eine Weile herumstehen lassen.) – Heute ist die Au ein Nationalpark.
    Konrad Lorenz’ unrühmliche Rolle im Nationalsozialismus war bei alldem nicht wirklich ein Thema gewesen, worüber diesmal jedermann froh schien. Man verharmloste diesen Mann nur allzu gerne zu einem Vater der Graugänse und kümmerte sich wenig um dessen in keiner Weise auf die nationalsozialistische Zeit beschränkten Theorien über die Bedeutung »kranken Erbmaterials«. Überhaupt ist die Verdrängung der »unglücklichen Nazigeschichte« bekanntermaßen eine österreichische Spezialität, die dann wenig später ihren Höhepunkt erreichte, als derselbe Kanzler Sinowatz intern ankündigte, die Öffentlichkeit über die »braune Vergangenheit« des Bundespräsidentschaftskandidaten der

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