Gebrauchsanweisung fuer Oesterreich
gelesen, kann man auch eine selbst beobachtete Sonnenfinsternis nur mehr mittels der Stifterschen Brille betrachten, man erlebt die Verwandlung der Welt mit den Augen eines Dichters, der seine tiefe Erschütterung in ein weiches, helles Material preßt und solcherart einen vollkommen wahrhaftigen Abdruck hinterläßt. Einen Abdruck, in den man gerne die eigene Hand legt und sodann erstaunt feststellt, wie gut alles paßt. Selbst dort, wo Stifter über Gott spricht. Auch der ungläubige Mensch kann ihm dabei bestens folgen. Etwa, wenn es heißt, man solle nicht einwenden, daß das himmlische Phänomen doch bloß mathematisch nachvollziehbaren Gesetzen folge, »leicht rechenbar« sei. Stifter schreibt: »Die wunderbare Magie des Schönen, die Gott den Dingen mitgab, frägt nichts nach solchen Rechnungen, sie ist da, weil sie da ist, ja sie ist trotz der Rechnungen da, und selig das Herz, welches sie empfinden kann.«
Wie wahr! Denn dies gilt ja nicht zuletzt für uns selbst, wir sind trotz der Rechnungen da. Es braucht uns nicht zu kümmern, daß die Rechnungen uns bestätigen, so wenig es uns zu kratzen bräuchte, würden sie uns nicht bestätigen — weil darauf wird ja auch noch jemand kommen. Wir hätten trotzdem unseren Spaß und trotzdem unsere Qual. Oder würde wirklich jemand damit aufhören, schrecklich traurig zu sein, nur weil jemand anders den Beweis erbrächte, daß das Schrecklich-traurig-Sein mathematisch gesehen gar nicht existiert? Stifters »Magie der Schönheit« ist »Reichtum, und einen anderen gibt es nicht.«
Ich finde, es steht auch fern jenes religiösen Eifers, der unser Leben seit jeher behindert und verkleinert, wenn es in diesem Text heißt: »Es war der Moment, da Gott redete und die Menschen horchten.« So einen Gott, einen Stifterschen Sonnenfinsternisgott kann man gerne akzeptieren, einen Gott, der mit uns spricht, gleich, wie wörtlich sein Name zu nehmen ist oder nicht.
Wie wunderbar sachlich ist Stifter bei aller poetischen Klassifizierung des Erlebten! So meint er zum Beispiel, die Erscheinung »dauerte zum Glücke sehr kurz«. Weil wohl noch schöner als die erkenntnisreiche Veränderung die Wiederkehr ins Vertraute ist, so wie ja kein Fernweh mit dem Heimweh mithalten kann und kein Scheißauto den Wert eines Kinderlachens erreicht.
Die zwei Fragen, die Stifter ans Ende seines Textes stellt, sind in ihrer Plötzlichkeit und Aufrichtigkeit verblüffend (als wende sich hier ein Dichter allen Ernstes, nicht bloß rhetorisch, an seine Leser, an alle Leser).
Vor allem die zweite Frage erstaunt. Stifter erkundigt sich nach der Möglichkeit einer Kunstform, in welcher Licht und Farbe selbständig zur Verwendung gelangen könnten. Er spricht von »Lichtmusik«, und man kann sich seinerseits fragen, was Stifter von den heutigen Städten hielte, dann, wenn sie mit Eintritt der Dämmerung zu erblühen beginnen. Es ist schon schade, daß wir den guten Stifter nicht für ein paar Tage in unsere Welt holen können, damit er uns eine Beschreibung davon liefert, wie das ist, mit einem Flugzeug über das nächtliche Wien zu gleiten, und sei’s bloß zwei Minuten lang, so lange, wie Gott an diesem 8. Juli 1842 gesprochen hat.
Thomas Bernhard läßt in Alte Meister seinen Protagonisten Reger über die Stifterliebhaber sagen: »Entweder diese Leute sind dumm und haben keinerlei Kunstgeschmack und verstehen von Literatur nicht das geringste, oder sie haben eben, was ich leider zuerst glauben muß, Stifter nicht gelesen.«
Man sollte unbedingt zu denen gehören, für die ersteres gilt.
Man sollte auch zu denen gehören, die nicht nur die österreichischen Klassiker der Moderne wie Ernst Jandl und H. C. Artmann und die schwarz-graziöse Dame der Literatur Friederike Mayröcker gelesen haben, sondern ebenso Ernst Hinterberger kennen, den Autor, dessen 1966 erschienenes Buch Das Salz der Erde die Vorlage bildete für jene berühmte und zunächst vor allem berüchtigte Fernsehserie Ein echter Wiener geht nicht unter, deren Drehbücher ebenfalls von Hinterberger stammten, wobei die Hauptfigur im Film sich wesentlich von der im Roman unterscheidet.
Keine Frage, als 1975 die erste Folge ins österreichische Fernsehen kam, war das eine Sternstunde des ORF und ein Höhepunkt medialer und höchstpersönlicher Erregungen. Und ein wenig war es so wie bei den Bauernbildern Waldmüllers: Plötzlich standen Personen im Mittelpunkt, die man bis dahin nicht für fernsehtauglich gehalten hatte, kleine Leute,
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