Gebrauchsanweisung fuer Oesterreich
Konservativen, Kurt Waldheim, unterrichten zu wollen. Vielleicht hätte er sich das noch überlegt, wenn er Zeit zum Nachdenken über das Wesen seiner Landsleute gehabt hätte, aber die Sache drang nach außen und wurde zum grandiosen Politikum.
Daß Herr Waldheim sich unter den Fragen der Journalisten wand und eine Komödie der Vergeßlichkeit zum besten gab, ist bekannt. Und eigentlich hätte man ihn dafür verachten müssen, so klein und stotternd und verbissen lächelnd und alles andere als staatsmännisch, wie er da auftrat, ein Mann, der einst die UNO geleitet hatte (und man möchte glauben, nicht die Weltorganisation, sondern das gleichnamige Kartenspiel sei gemeint). Doch Waldheim war im Lande zum Symbol geworden für die ganz grundsätzliche Anständigkeit des österreichischen Menschen, die man sich von der Welt – von einer vom jüdischen Weltkongreß dirigierten Welt — nicht in Frage stellen lassen wollte. Eine Welt, die Österreich nach dem Ersten Weltkrieg in ein Mini-Land verwandelt hatte.
Ursprünglich ein Weltreich, eine, wie Karl Kraus sagt, »Versuchsstation des Weltuntergangs«, in dem alles mit den größten Maßstäben betrachtet wurde, eben auch die Zerstörung, war Österreich mit einem Mal wie in Unterhosen dagestanden. Man hatte sich als Riese schlafen gelegt und war als Zwerg wieder aufgewacht. Der kurzzeitige Anschluß an Deutschland (und die lautstarke Akzeptanz, die damit einherging) wurde mitnichten als vollwertiger Ersatz für den Verlust der Großmachtstellung gesehen. Es macht den Österreichern wenig Vergnügen, Deutsche zweiter Klasse zu sein, oder, wie Harry Rowohlt sagt, Deutsche mit Hut. Darum wehren sie sich auch so dagegen, mit den Deutschen in einen Nazitopf geworfen zu werden. Sie bestehen auf ihren eigenen Topf. Der ist nicht braun, sondern dunkelgrün. Faschismus als Wanderweg. Nein, der Anschluß war den Österreichern ein schlechter Trost für die erlittene geographische Minimierung.
Auch wenn die Österreicher nach dem Zweiten Weltkrieg aus der Not eine Tugend machten und sich im neuen Europa das kleine Format mitunter als vorteilhaft erweist (vor allem, wenn die Farbe ausgeht, um die ganz großen Bilder zu malen), so stieg während der Waldheim-Affäre die alte Wut gegen die Welt wieder mächtig empor und machte einen Mann zum Helden, dem deutlich anzusehen war, daß er oft nicht wußte, wie ihm eigentlich geschah. Der zwischenzeitlich verstorbene Kurt Waldheim war meines Erachtens kein echter Österreicher, sondern ein Mann, den man wirklich in jedes beliebige Land einfach hätte hineinstellen können, wie bei einem Steckspiel, und es hat somit eine tiefe Tragik und auch komische Seite, daß ein großer Teil der Österreicher sich trotzig hinter diesen einen Mann stellte und ihn zum Bundespräsidenten machte, in der törichten Annahme, er sei einer von ihnen.
Die antisemitischen Töne, die in dieser Phase aufbrachen, konnten nur jene erschrecken, die von diesem Land halt keine Ahnung haben. Seit jeher rüsten sich die Österreicher mit dem Antisemitismus wie mit einem aufgespannten Regenschirm aus, ohne daß es aber regnet oder auch nur ein besonders grelles Licht vorherrschen würde. Aber sie tun so, als würde es eben doch regnen, und zwar Hagelkörner oder gar Ziegelsteine, oder zumindest Frösche, und als würden sie ohne ihre Schirme erschlagen werden. Nirgends in der Welt ist der Antisemitismus so irrational wie in Österreich und so sehr mit dem Haß gegen sich selbst verbunden. Die eingebildete Regenwolke, vor der man sich so fürchtet, ist eine höchstpersönliche, wie in diesen Kindergeschichten, wenn ein kleines Wölkchen ständig über dem Helden steht und ihn verdunkelt. Was täten wir ohne diese Wolken? Hin und wieder natürlich verbirgt man den Schirm unter dem Mantel einer mißmutigen Liberalität (aber der Mantel paßt nicht, wie die meisten Dinge, die aus dem Wort »Toleranz« gewebt wurden).
Die Waldheim-Affäre hat die Österreicher auf sich selbst zurückgeworfen. Und ich denke, sie haben sich selten so gut gefühlt wie damals, selbst die Waldheim-Gegner noch. Im Strudel kommen alle zusammen.
Meine Güte, war dieses Kapitel nicht dem Absonderlichen gewidmet? – So will ich es mit einem Künstler abschließen, der gar kein Österreicher war, sondern ein Ehrenösterreicher oder auch Arbeitsösterreicher. Oder auch nur jemand, der in Österreich ein bißchen verrückt geworden ist. Immerhin wurde er in diesem Land zum wichtigsten, zum
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