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Gebrauchsanweisung fuer Oesterreich

Gebrauchsanweisung fuer Oesterreich

Titel: Gebrauchsanweisung fuer Oesterreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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die allgemein als Proleten galten (und nicht als Proletarier, wie fälschlicherweise oft geschrieben steht). Nach dieser ersten Folge um die in einem Wiener Gemeindebau lebende Familie Sackbauer ging sofort ein Riß quer durch Österreich und quer durch eine jede österreichische Familie. Es war genau so wie drei Jahre später bei der Volksabstimmung um das fix und fertig gebaute Atomkraftwerk Zwentendorf und neun Jahre später anläßlich der Proteste gegen die geplante Errichtung eines Wasserkraftwerkes bei Hainburg. Die gleichen Debatten, die in den Medien geführt wurden, wurden mit ebenso großer Heftigkeit und ebenso bemühter Eloquenz in den Familien, den Schulen, den Büros, an den Stammtischen und in den Saunas geführt (man muß einmal in einer österreichischen Sauna gewesen zu sein, um zu sehen, wie sehr sich Menschen selbst bei höchsten Temperaturen echauffieren können).
    Im Falle besagter Fernsehserie war es die derbe, sehr direkte und unverblümte, von cholerischen Anfällen untermalte Sprache des von Karl Merkatz so fulminant wie glaubwürdig verkörperten Familienvaters und hobbymäßigen Gewichthebers Edmund Sackbauer, auch »Mundl« genannt. Dieser Mundl (ein Begriff der sprichwörtlich wurde für leidenschaftlich biertrinkende Paradeproleten) brachte ein Verhalten auf die Fernsehbühne, welches in seiner realistischen wie humorigen Drastik (der Drastik des Alltags) das Publikum verstörte, verärgerte oder verzückte. Entweder war man der Meinung, daß derart ordinäre Ausdrucksweisen im Fernsehen nichts verloren hätten, oder man erfreute sich an der »Fernsehwerdung« einer Gestalt, deren Ausbrüche als originell und echt empfunden wurden, etwa wenn Mundl seinem erwachsenen Sohn ständig »Watschen« androht, nach welchen, wie er sagt, »dir vierzehn Tog der Schädl wockelt«. Natürlich ist dieser Edmund Sackbauer ein Ignorant sondergleichen, ein Schreihals und kenntnisarmer Besserwisser, der Idiotien mit dem gleichen Überdruck zum besten gibt, mit welchem die von ihm heftig geöffneten Bierflaschen überschäumen.
    Aber während das Publikum anfangs bloß von dieser im Fernsehen bislang ungekannten Vulgarität abgestoßen oder angezogen war, zeigte sich bald, wie perfekt man die ganze Familiengeschichte strukturiert hatte, wie vielschichtig die einzelnen Figuren angelegt waren: Mundls geradezu madonnenhafte Frau Antonia, sein Sohn Karli, der bei allem Gebrüll und aller Roheit zerbrechlich anmutet, die Tochter Hanni, die sich aus dem Milieu herauszuschrauben versucht und eine Hübschheit erlangt, die nur schwierigen Menschen eigen ist, ihr als »Nudlaug« titulierter Freund Franz, der als angehender Schriftsteller gespenstisch-dünnhäutig durch die Szenerie wandelt, nicht zuletzt der weinerlich-versoffene Hausmeister Blahovec oder das in seiner Bürgerlichkeit freundlich verstaubte Ehepaar Werner, Gestalten, die in den fünf Jahren ihrer Ausstrahlung einen Prozeß von der »Fernsehwerdung« zur »Menschwerdung« erlebten, wobei quasi mit der Entwicklung der Figuren auch die Zuseher reiften und die erste Heftigkeit der Diskussion sodann einem Plauderton wich, mit welchem man über nahe Verwandte spricht. Und das war diese Fernsehfamilie ja auch, nahe Verwandte von einem jeden, nicht nur den Wienern. Ganz Österreich war mit dieser Familie Sackbauer irgendwie verhandelt oder verwachsen, ob es einem paßte oder nicht.
    Auch in dieser Serie war viel Biedermeier zu sehen, viel kleine Welt, viel Innenraum, nicht zuletzt die Ornamentik der siebziger Jahre, deren greller Schick hier eigentümlich verdunkelt die Räume schmückte, als betrachte man die Aufnahmen eines Londoner Modefotografen durch die gleiche Scherbe, mit der Stifter einst seine Sonnenfinsternis beobachtet hatte.
    Auf ihre Art nicht minder biedermeierlich war die Posse um das Atomkraftwerk Zwentendorf. So etwas kann nur in Österreich geschehen, daß man zuerst ein AKW errichtet und dann auf die Idee kommt, wo es schon mal so schön dasteht, eine Volksabstimmung über dessen Nutzung abzuhalten. Und es ist ja in der Tat ein Unterschied, ob man ein solches Monstrum einfach nur baut oder ob man es auch verwendet. Um nochmals auf den im Grunde liebevollen und couragierten Familienvater Edmund Sackbauer anzuspielen: Es ist eine Sache, eine Watschen anzudrohen, und eine andere, sie auch auszuteilen.
    Sonnenkönig Bruno Kreisky und sein Gefolge dachten sich die Volksabstimmung als einen kontrollierbaren Akt, der aber den Geruch

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