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Gebrauchsanweisung fuer Oesterreich

Gebrauchsanweisung fuer Oesterreich

Titel: Gebrauchsanweisung fuer Oesterreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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originärsten Bildhauer des Spätbarocks. Die Rede ist von dem 1736 im damals von den Bayern vereinnahmten Ort Wiesensteig geborenen Franz Xaver Messerschmidt, einem Schwaben, der via München und Graz nach Wien ging, so wie jemand, der sich auspeitschen läßt, bevor er in den Ring steigt.
    Man kann jedermann nur empfehlen, die Österreichische Galerie im Belvedere aufzusuchen und sich Messerschmidts Schnabelkopf anzusehen, eine Alabasterbüste, die höchstwahrscheinlich den »Geist der Proportionen« darstellt, jedoch auf den unbedarften Betrachter als eine schockierende Schädel-Konzentration wirkt, eine Versammlung aller möglichen Köpfe zu einer einzigen schrumpfkopfartigen Verdichtung. Wenn die Rede von einem »Zwitter aus Mensch und Tier« ist, dann bezieht sich dies auf den schnabelförmig zulaufenden, nach oben gereckten Mund, der aber auch als ein Mundwerkzeug, als ein Saugrüssel gesehen werden könnte, so, als versuche die Figur solcherart die Luft einzusaugen oder eine Art Nektar aus dieser Luft herauszufiltern.
    Für Messerschmidt mag es — wie eigentlich alle echte Kunst es tut – der gelungene Versuch gewesen sein, einen Geist zu bannen, ihn in den Stein zu zwingen, in die Plastik hinein wie in einen Käfig. Beziehungsweise der Versuch, dem Geist das eigene Spiegelbild vorzusetzen und ihn auf diese Weise zu erschrecken und zu verjagen.
    Nun gibt es Geister, die kann man verjagen, andere aber nicht. Und der Geist der österreichischen Bürokratie ist natürlich vollkommen unverjagbar. Zu seinen Unarten gehört es, Leute in hohe und höchste Positionen zu hieven, die sich durch Opportunismus, aber ebenso durch eine Art von Geselligkeit auszeichnen. Dem Verschlossenen hingegen bleibt auch die Karriere verschlossen. Gerade von Künstlern fordert die Bürokratie ein durchschaubar künstlerartiges Wesen, wobei durchaus Anklänge an psychotische Verhaltensweisen erlaubt sind, aber selbstverständlich auf eine dekorative Weise. Gefragt ist eine nachvollziehbare Exaltation, eine poetische Pose, ein dämonischer Blick, Turnschuhe statt Krawatte, etwas in dieser Güteklasse. Aber nicht jemand, der es wirklich ernst meint.
    Der Schwabe und Wahlwiener Messerschmidt scheiterte nicht am Geist der Proportionen, sondern am Geist der Bürokratie. Sein offenkundiges Genie, das er selbstbewußt zu offerieren wußte, sein eher unelegantes und charmearmes Auftreten, seine fehlende Untertänigkeit, sein derber Fleiß, sein als Misanthropie begriffenes Distanzbedürfnis, sein Mangel an Heiterkeit – ich möchte sagen: seine unösterreichische Asexualität —, das alles mußte den Kollegen und Rivalen mißfallen, so wie es ihnen gleichzeitig in die Hände spielte. Natürlich, damals wie heute wird gerne behauptet, die Ablehnung der Akademie, Messerschmidt die versprochene und mehr als angemessene Professorenstelle zu übertragen, sei mit dessen angehender Erkrankung des Geistes begründet gewesen. Das ist ganz typisch für Österreich, daß nämlich Leute, die an diesem Land und seinen Gepflogenheiten verzweifeln, verdächtigt werden, richtig geisteskrank zu sein, also auf eine »unnormale« Art. Die Verursacher einer Paranoia schreiben die Paranoia irgendeiner verdrehten Hirnwindung zu. Sie verhalten sich wie jemand, der den falschen Baum umsägt und dann die ganze Schuld auf die Säge schiebt. Beziehungsweise auf den Baum, der sich der Säge so ungünstig in den Weg gestellt hat.
    Messerschmidt hat wunderbare, so virtuose wie elementare Büsten, Standbilder und Reliefs von Kaiser Joseph II., Maria Theresia und Franz I. Stephan von Lothringen geschaffen, aber auch auf eine intime Weise klassizistische Porträts des kaiserlichen Leibarztes Gerard van Swieten oder des Begründers des animalischen Magnetismus, Franz Anton Mesmer. Messerschmidts Hauptwerk aber, ein Werk, das heute noch erschreckt und verzaubert und überrascht, sind die sogenannten Charakterköpfe, eine Werkgruppe von »Portreen«, von verwandten Köpfen, in denen die menschlichen Daseinszustände bis in ihre dämonenhaften Peripherien in exemplarischer Form dargestellt werden. Köpfe, die dem Wahnsinn Messerschmidts angedichtet wurden (schöner Wahnsinn, der solch überlegene und analytische Darstellungen hervorbringt!), bevor sie dann — wie um den längst toten Messerschmidt endgültig zu zerstören — in Kuriositätenkabinetten landeten; so wurden sie etwa im Prater ausgestellt, als handle es sich um lauter Damen ohne Unterleib.
    Aber wo ein guter

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