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Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg

Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg

Titel: Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Rávic Strubel
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Nachwendezeit. Schon im Mittelalter bauten die Zisterziensermönche auf Brandenburger Sandboden verschiedene Rebsorten an. Heute hat sich vor allem der Dornfelder einen Ruf als Brandenburger Hauswein erworben. Er fehlt in keinem Laden und auf beinahe keiner Speisekarte und kann in der kostengünstigen Abfüllung als Nachfolger des Rosenthaler Kadarkas bezeichnet werden. Es gibt sogar einen heimischen Dornfelder. Der stammt vom Werderaner Wachtelberg, einem Anbaugebiet in Werder, das auch für seine Weißweine sehr gerühmt wird. Ich habe Flaschen mit Werderaner Riesling oder Regent vom Wachtelberg schon in vielen Regio-Läden stehen sehen. Getrunken hat diesen Wein in meiner Gegenwart noch niemand. Ich kann also nicht sagen, ob das Resultat so ähnlich wäre, wie es die Genießer der Senftenberger Weine früher in einem Trinkspruch beschrieben: »Trinkst du Senftenberger Wein und Most, verzieht sich dein Gesicht von West nach Ost.« Die Weinbauern dieser nördlichsten zugelassenen Qualitätsreblage der Welt loben ihn als typisch märkisch: trocken, aber nicht herb. Er sei mild und habe wenig Säure, weil er auf Sandboden gewachsen sei.
    Beliebt ist auch das Gurkenwasser. Es kommt aus dem Spreewald, der von Gurkenfeldern gewissermaßen umrahmt wird. Der Likör aus Gurkensaft wird wegen seiner giftig grünen Farbe und dem kosmetischen Geruch gern in Andenkenfläschchen angeboten. Als Souvenir erfüllt das Gurkenwasser die Wünsche beider Teile des Touristen-Ehepaars: Er kann sich das Schnäpschen zu den anderen Flaschen seiner Schrankwandsammlung stellen. Sie kann es aufschrauben und als Gesichtspeeling verwenden. (Zur Not kann sie es auch aufschrauben, austrinken und – mit etwas kosmetischem Gurkenwasser aufgefüllt – zurück in seine Sammlung stellen.)
    Die Gurke ist die Zitrusfrucht Brandenburgs. Ihre gelb leuchtenden Blüten, ihr Duft und ihr Aroma helfen, die Sehnsucht zu schüren. So wie Italien den Menschen einst mithilfe des Gesangs von den blühenden Zitronenbäumen nähergebracht wurde, sollen die Herzen für die südbrandenburgische Landschaft durch das Besingen der Gurke erschlossen werden. Um sich darauf vorzubereiten, wurde die Gurke bereits vielfältig im allgemeinen Sprachgebrauch untergebracht. Beispielsweise sagt hier niemand mehr: »Du bist ja ein Witzbold.« Sondern man sagt: »Du bist ja ’ne Gurke!«
    Jedenfalls steht die Gurke für die touristische Vermarktung einer ganzen Region. Mentalität und Landschaft müssen in sie hineinpassen. Bayern hat es so ähnlich gemacht und ist im Ausland längst auf eine Lederhose und eine Maß zusammengeschnurrt. So wird auch der Spreewald in der ausländischen Perspektive bald Dimension und Form einer Gurke annehmen. (Was dem Empfinden der Touristen an den überfüllten Anlegestellen der Spreewaldkähne gut entspricht.) Dass die Einlegegurken neben dem Meerrettich eines der wichtigsten Exportprodukte ist, spielt da nur eine untergeordnete Rolle.
    Die Gleichsetzung von Gurke und Zitrusfrucht ist aber leider falsch. Denn die eine ist der anderen haushoch überlegen. »Südfrucht vergeht, saure Gurke besteht« heißt ein Spruch aus der Zeit der letzten Jahrhundertwende, als viele der importierten Südfrüchte auf den langen Transportwegen verfaulten. Die Gurke war pflegeleicht. Eingelegt ließ sie sich lange haltbar machen. Schon im 18. Jahrhundert wurden die Gurken in mannshohen Gurkenfässern per Kahn spreeabwärts bis nach Berlin geschippert. Zu DDR-Zeiten wurde derselbe Spruch übrigens dankbar aufgegriffen, um sich über den Mangel an frischem Obst in den Kaufhallen hinwegzutrösten; saure Gurken im Glas waren leichter zu bekommen als Orangen.
    Schuld an der Berühmtheit der Gurke sind wieder die Immigranten. Zwar bauten schon die ursprünglichen Siedler der Lausitz, die Slawen, Gurken an. Allerdings wurden die kleinen stachelhäutigen Grünlinge erst zum Verkaufsschlager, als die Holländer im 16. Jahrhundert in die Niederlausitz kamen. Ursprünglich hatte man sie geholt, um Tuchmachereien zu gründen. Aber entweder gab es schon genügend Kleidung, oder das Tuch der Holländer sah in der Niederlausitz nicht mehr so schön aus. Jedenfalls hatten die Neuankömmlinge mit ihren Klamotten kein Glück und begannen, sich der Gurke zuzuwenden. Sie veredelten sie, indem sie ihr verschiedenste Kräuter beimischten. Die berühmte Spreewaldgurke ist also zu Teilen eine niederländische Erfindung.
    P. S.: Um Sie nicht völlig geschmacksverwirrt aus diesem

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