Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg
auf den Kohl ein, bis er zu Sauerkraut geworden war. Gerüchten zufolge soll das Kraut noch heute in einigen Dörfern mit den Füßen gestampft werden. Die Prignitzer haben daraus klugerweise gleich eine Spezialität gemacht, die sich gut vermarkten lässt. Sie erfanden den Knieperkohl, auch Sur'n Hansen genannt, und erklärten ihn zum Prignitzer »Nationalgericht«. Der Knieper besteht aus verschiedenen Kohlsorten, vor allem dem Markstammkohl, die vermischt und sauer eingelegt werden. Nach etwa sechswöchiger Gärung ist der Knieper fertig. Man isst das Kraut vor allem im Winter und am besten mit Speck, Eisbein oder Kohlwurst. Für die Touristen gibt es dieses Gericht ganzjährig in der »Knieperstadt« Pritzwalk, und wer vom Kniepern im Unterleib nicht genug bekommen kann, kann auf Kniepertour gehen oder ganze Knieperabende verbringen.
Diese alten Rezepte werden heute in edel gebundenen Büchern abgedruckt, die die Gastwirte gern an ihre Theke stellen. Sie sollen die Gäste daran erinnern, dass sie sich in einer Gegend befinden, die von großer Not gezeichnet ist. Damit möchte man ein allgemeines Aufbegehren verhindern. Denn sobald das bestellte Gericht serviert wird, wird offenkundig, dass die Kartoffeln abgezählt sind. Auch die Kasslerscheibe ist überschaubar und zur Hälfte unter einer goldbraunen Soße versteckt, die, um Zeit und Geld zu sparen, aus einem Pulver angerührt wurde. Das Gemüse ist quadratisch vorgeschnitten, man brauchte es nur der Tiefkühltruhe zu entnehmen. Allein die Preise haben sich die Herrscher übers Kulinarische von Bayern abgeschaut. Schließlich kann man im Leben immer noch etwas dazulernen.
Was ich sagen will: Sollten Sie unsere Auffassung nicht teilen, sind Sie noch immer gut beraten, wenn Sie Rainald Grebes Anweisung Folge leisten: »Nimm dir Essen mit, wir fahren nach Brandenburg.« Sollten Ihre Vorräte doch einmal aufgebracht sein und Sie in die Verlegenheit kommen, eine gastronomische Einrichtung aufsuchen zu müssen, bestellen Sie immer das einfachste Gericht auf der Speisekarte. Bestellen Sie das, bei dem man am wenigsten falsch machen kann. Nehmen Sie also auf keinen Fall den Seeteufel im Tomaten-Estragon-Sud an Kräutergnocchi oder Rehragout mit Papaya-Chutney auf Röstkastanien. Da ist ein Koch am Werk, der vom Hörensagen um den schlechten Ruf der brandenburgischen Küche weiß und verlernt hat, an sich zu glauben. Er hat es sich stattdessen zum Ziel gesetzt, diesen Ruf mit aller Gewalt zu verbessern (Betonung auf Gewalt). Oder es ist ein Koch am Werk, der zwar seine Nase kurz in internationale Frischluft gesteckt hat und in der Schweiz das hohe Handwerk des Kochens erlernte, dem aber ein traditionsbewusster Restaurantbesitzer das Budget dermaßen zurechtstutzte, dass er auf Zutaten aus Billigläden zurückgreifen muss.
Kartoffelsuppe mit Bockwurst wäre eine kluge Entscheidung oder Knacker mit Senf. Mit Schnitzel lässt sich nicht viel falsch machen. Auch die Bratkartoffeln können unter Umständen hausgemacht sein. Mit der Zubereitung von Blutwurst und Pellkartoffeln oder Schmorgurken hat man hierzulande ebenfalls Erfahrung.
Ich bin an diese überschaubare Speisekarte gewöhnt. Ich wuchs damit auf, nur die Wahl zwischen Schweinebraten und Klopsen zu haben. Aber als ich neulich im ländlichen Norden die einzige Dorfgaststätte aufsuchte, die in einem Umkreis von hundert Kilometern sonntags geöffnet hatte, war selbst ich überrascht. Im Gastraum saß niemand. Die Sparlampen warfen ein graues Licht. Die Holzbestuhlung war sachlich. Eine Frau in blaugeblümter Schürze sah kurz durch den schmalen Spalt der Küchentür und verschwand. Eine Weile geschah nichts. Ich betrachtete den Staubring auf der Kerze. Sie war noch nie angezündet worden. Als die Frau wieder auftauchte, hatte sie die blaue gegen eine weiße Schürze eingetauscht. Sie kam mit einem Blatt Papier an meinen Tisch. »Was wollen Sie?« Ich bat um die Speisekarte. »Ich kann Ihnen Schweinelendchen anbieten«, sagte sie. »Mit Rahmchampignons.« Als ich fragte, was es sonst noch gebe, fing sie an zu überlegen. Zögernd sagte sie: »Ich könnte Ihnen ein Schnitzel machen. Mit Rahmchampignons.« Kein Krautsalat? Nicht einmal eine Soljanka? »Also wissen Sie«, sagte sie, »ich bin den ganzen Tag allein hier. Ich teile mir die Arbeit mit einer Kollegin. Sie war gestern dran. Ich bin heute dran. Da kann man nicht so viel anbieten.« Beim Verlassen des Lokals rief sie mir hinterher: »Das nächste Mal rufen
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