Gebrauchsanweisung für Südengland
Kuchen und Tee. Gläser, Teller und Besteck liehen sie sich von den Leuten, die in den kleinen Cottages entlang des Flusses wohnten. Schon damals erlaubte William Harcourt, der Besitzer eines Uferstücks bei Nuneham, wildfremden Menschen, dienstags und donnerstags an seinem Grundstück an Land zu gehen und die speziell gebauten Picknickhütten zu nutzen. Möglicherweise handelt es sich dabei um das erste designierte Picknickareal der englischen Geschichte.
Die drei Männer im Boot, in Jerome K.Jeromes gleichnamigem Meisterwerk verewigt, taten es Lewis Carroll gleich und veranstalteten ihr Picknick mit kaltem Braten, Tee, Brot und Marmelade. Wesentlich elaboriertere Vorbereitungen traf da die Wasserratte in Kenneth Grahames Klassiker »Der Wind in den Weiden«, die für ihren Freund Mole, den Maulwurf, ein exquisites Mahl zusammenstellt. In seinem Picknickkorb findet sich nicht nur kaltes Hühnchen. Nein, auch kalte Zunge, kalter Schinken, kalter Rindsbraten, eingelegte Gürkchen, Salat, Brötchen, Kressesandwichs, noch mehr Fleisch, Ginger Beer, Limonade und Sodawasser. Mit dieser Auswahl könnte man die Besucher von Ascot, dem nicht nur wegen der ausgefallenen Hüte der Zuschauerinnen berühmtesten aller englischen Pferderennen, bestimmt fast schon zufrieden stellen. Wahrscheinlich könnte man die Limonade getrost weglassen, aber Hummer, Kaviar und Champagner dürften keinesfalls in ihren Picknickkörben und Lunchpaketen fehlen.
Nach Cricket in Lord’s, Tennis in Wimbledon und Pferderennen in Ascot fehlt nur noch ein berühmtes Sportereignis, bei dem die feine Gesellschaft nach allen Regeln der Kunst im Freien speist: Henley, die Ruderregatta auf der Themse, wie die anderen in der Peripherie Londons und natürlich im wohlhabenden Süden der Insel angesiedelt.
Was die Erdbeeren für Wimbledon sind, ist »Pimm’s« für Henley. Angeblich kennen nur sechs Menschen das Rezept für dieses sommerliche Getränk, das sich James Pimm in den 40er Jahren des 19. Jahrhunderts ausgedacht hat. Ausgehend von Mr. Pimms Austernbar in London trat seine alkoholische Kreation ihren Siegeszug nahezu um die ganze Welt an. Getrunken wird es traditionell als Longdrink – ein Drittel
»Pimm’s« wird mit zwei Dritteln Limonade oder Ginger Beer aufgefüllt. Wer mehr von den 25 Prozent Alkohol spüren will, kann das Verhältnis auf 1:1 erhöhen. Dann kommt jede Menge Eis ins Glas und eine Scheibe Salatgurke als Garnitur. Zur Not tut es auch eine Zitronen- oder Orangenscheibe.
Jede Ausrede gilt, wenn ein Engländer ein Picknick der feineren Art veranstalten will. Das gilt für den vom Klima verwöhnten Süden des Landes allemal. Nun muß es ja nicht immer ein herausragendes Sportereignis sein, das zudem den Nachteil hat, nur für eine begrenzte Zeit im Jahr stattzufinden. Auch wenn die Herrschaften sich zu diesen Gelegenheiten durchaus extravagant kleiden dürfen, sähe es doch eigenartig aus, im Lord’s Cricket Ground oder bei der Henley Regatta im Abendkleid zu erscheinen.
Diesem Manko weiß Glyndebourne abzuhelfen. Dieser Ort, etwa zehn Kilometer nordöstlich von Brighton, steht als Synonym für ein kulturelles Ereignis, das für erstklassige Opernaufführungen berühmt ist, bei denen das Essen mindestens genauso wichtig ist wie die Musik und ihre international renommierten Interpreten. Wer englische Lebensart von ihrer allerbesten Seite kennenlernen möchte, der sollte nach Glyndebourne kommen. Voraussetzung ist allerdings, daß man sich rechtzeitig um Karten bemüht. Ab Oktober sind die Tickets für die nächste Saison erhältlich, die im folgenden Mai beginnt. Aber längst nicht für jeden. Mitglieder der Glyndebourne Festival Society haben Glück und erhalten Vorzugskarten. Allerdings wollen so viele Enthusiasten dieser im wahrsten Sinne geschlossenen Gesellschaft beitreten, daß Sie, wenn Sie sich im Jahr 2002 auf die Wartelisten setzen lassen würden, im Jahr 2042 – eventuell – aufgenommen werden würden. Das erfordert selbst für englische Verhältnisse ein Übermaß an Geduld, daher wurde die Warteliste erst einmal abgeschafft.
Nach den Mitgliedern werden die Menschen mit Karten versorgt, die es noch geschafft haben, Zugang zur Warteliste zu erhalten. Dann diejenigen, die sich für fünf Pfund pro Jahr auf die festival mailing list haben setzen lassen. Und dann kommt erst die allgemeine Öffentlichkeit. Im April dürfen sie sich um Restkarten bemühen. Die Website von Glyndebourne versucht zu trösten: Wenn der
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