Gebrauchsanweisung für Südengland
»Così fan tutte«. Die Zuschauer waren begeistert. Sie waren gekommen, um etwas Abwechslung zu genießen und um die Christies wohlwollend zu unterstützen. Doch kaum einer hatte mit einer derartig einzigartigen Erfahrung gerechnet: Während der langen Pause hatten sie vorzüglich diniert, waren in einem zauberhaften Garten flaniert, und sie waren Zeuge eines völlig neuen Standards der Opernaufführung geworden. Dieser war das Ergebnis endloser Proben und deutscher Gründlichkeit in der Orchesterarbeit, dem Gesang, der Schauspielerei, dem Bühnenbild und den Kostümen. Eine vollkommene Ensembleleistung war der Schlüssel zum Erfolg, auf Stars hatte man verzichtet. Aus aller Welt hatte man Künstler gewonnen, für deren Engagement nur die Kriterien Talent und Aussehen galten. Einen bekannten Namen brauchten sie nicht.
So wurde das, was als Spleen eines Engländers begann, schon im ersten Anlauf zu einer internationalen Institution. Bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges wurde weiter daran gefeilt, das Theater ausgebaut und auf 527 Plätze erweitert, die Gartenanlage verbessert. Außerdem, immer das Wohl der Festivalbesucher im Blick, bauten die Christies ein Restaurant. Das Repertoire wuchs jedes Jahr, zu den fünf Mozart-Opern kamen Verdis »Macbeth« und Donizettis »Don Pasquale« hinzu.
Der Krieg brachte eine Zäsur, die zehn Jahre dauern sollte. Als die deutsche Luftwaffe den »Blitz« genannten Bombenangriff auf London begann, wurde das Haus in Glyndebourne zum Schlafsaal für aufs Land evakuierte Londoner Kinder umgebaut.
Mit dem Ende des Krieges wollte John Christie den Opernbetrieb zwar wieder aufnehmen, doch seine finanziellen Ressourcen waren erschöpft. Hunderttausend Pfund hatte er bereits investiert, und damit war sein Limit erreicht. Eine Kleinigkeit wie Geld hat jedoch noch nie einen Engländer von großen Plänen und kulturellen Visionen abgebracht. Wenn man anfing, sich von monetären Engpässen beunruhigen zu lassen, könnte man sich letztendlich über alles aufregen. Da es in Glyndebourne im Moment erst einmal nicht so recht weiter ging, beteiligte sich John Christie kurzerhand an der Gründung des Edinburgh Festivals, das 1947 erstmals stattfand. Die Stadt Edinburgh subventionierte dieses ambitionierte Kulturspektakel, und mit dieser finanziellen Unterstützung konnte es sich Glyndebourne leisten, neue Produktionen wie »Ein Maskenball« und »Ariane auf Naxos« zu präsentieren. Dazu kam das bekannte Mozart-Repertoire. In Glyndebourne selbst feierte man
1946 die Weltpremiere von Benjamin Brittens »The Rape of
Lucretia«, 1947 gefolgt von »Albert Herring«.
Mit Beginn der fünfziger Jahre kam die Industrie zu Hilfe und begann, das Festival zu sponsern. Die Glyndebourne Festival Society wurde gegründet, um durch Mitgliederbeiträge den Erhalt des Festivals zu garantieren. Der Glyndebourne Arts Trust, 1954 gegründet, vervollständigte die finanzielle Absicherung des Festivals.
Ein neues Opernhaus mit Platz für 1250 Besucher wurde 1994 eröffnet. Aus diesem Anlaß hatte man einen neuen Garten angelegt, den Bourne Garden. Exotische und architektonisch interessante Pflanzen bilden einen dichten Dschungel aus saftigem Grün. Eine Besucherin schwärmt, daß Echium pininana wie Ausrufezeichen hervorstechen. Sie meint, Oliver Knussens Oper »Where The Wild Things Are« hätte als Inspiration für die Bepflanzung gedient. Baumfarne, Artischocken, Calla-Lilien und Bambuspflanzen buhlen um die Aufmerksamkeit der Besucher. Ganz anders der formale Figaro Garden, der in vier Quadrate unterteilt ist, in denen Fingerhut, rosa und weiße Rosen wachsen, unterpflanzt von Glockenblumen und üppiger blaublühender Katzenminze.
Der long terrace walk genannte Weg, der an dem alten, mit Efeu, Glyzinien und Kletterhortensien bewachsenen Herrenhaus entlangführt, ist ein Musterbeispiel für die erfolgreiche Beetbepflanzung: Salbei, Alliums, orientalischer Mohn sowie keck in die Höhe wachsender Rittersporn und Nachtkerzen setzen farbige Akzente. Die Gärtner von Glyndebourne haben viele Pflanzen wegen ihres berauschenden Dufts gewählt, darunter Tabakpflanzen und das an Vanille erinnernde Heliotrop.
Dazwischen sitzen Menschen in Smoking und Abendkleid und genießen die Pause in der Operndarbietung mit einem Picknick. Anderthalb Stunden haben sie Zeit, sich dem Inhalt der exquisiten Picknickkörbe zu widmen. Darin finden sich Vorspeisen, Hauptgerichte und, nicht zu vergessen, ein Dessert. Traditionelle
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