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Gebrauchsanweisung für Südengland

Gebrauchsanweisung für Südengland

Titel: Gebrauchsanweisung für Südengland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Kößling
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Meer, am Horizont liegt Wales. Vor ihnen liegt Exmoor in seiner ganzen dramatischen Schönheit, und zu ihren Füßen wird Cricket gespielt. Auf der Wiese neben dem Spielfeld haben sich Familien niedergelassen, die mit der Tasse Tee in der Hand über die Cricketspieler hinweg den Blick das Tal entlang nach Westen schweifen lassen.
    Man könnte meinen, für viele Engländer sei Cricket nur ein willkommener Anlaß, mal wieder unter freiem Himmel zu essen und zu trinken. Denn Picknick ist noch so eine englische Passion, der ungeachtet der Jahreszeit und des Wetters quer durch alle Klassen landauf, landab begeistert gefrönt wird. Dabei kann es sich um ein paar in einer Plastiktüte mitgebrachte Sandwiches handeln, mit geriebenem Cheddarkäse und Tomaten belegt, die man am Strand verspeist. Oder auch um ein elaboriertes Festmenü aus dem perfekt ausgestatteten Picknickkorb. Wesentlich ist, daß man dabei auf dem Boden im Gras oder im Sand sitzt. Selbst in den allgegenwärtigen und gut ausgeschilderten picnic areas trifft man nur in den seltensten Fällen auf Tische und Bänke.
    Der Journalist Godfrey Smith gibt zu bedenken, die englische Vorliebe für Picknicks sei der beste Beweis dafür, daß das Wetter in England längst nicht so schlecht sein kann, wie immer behauptet wird. Wären die Sommer nämlich nur halb so verregnet, wie ihnen ihr übler Leumund nachsagt, dann wären Picknicks nur eine Reihe gescheiterter Pläne und deprimierender Absagen. Allerdings darf ein gewisses dramatisches Element nicht fehlen, wenn ein Picknick ein richtiges englisches Picknick sein soll. Die Literatur dokumentiert die kleineren und größeren Desaster mit Hochgenuß. Sir John Betjeman, zum Beispiel, huldigt in einem Gedicht dem Sand in den Sandwichs, den Wespen im Tee und den anderen Freuden eines Essens am Strand. Godfrey Smith meint, es sei ein Zeichen des englischen Genies, die Mißlichkeit des Wetters und sonstige Widrigkeiten des Lebens beim Picknick einfach zu ignorieren und sich der nationalen Leidenschaft ungehemmt hinzugeben. Dementsprechend gingen auch jene literarischen Picknicks in die Geschichte ein, die trotz aufwendiger Vorbereitungen gar nicht stattfanden oder aus sonst einem Grund nicht unter Erfolg zu verbuchen waren.
    Nehmen wir ein weiteres Beispiel aus Jane Austens »Sinn und Sinnlichkeit« als Beweis dafür, daß der Wille, sich Unbequemlichkeiten und Erkältungen auszusetzen, eine englische Charaktereigenschaft ist. Eine Landpartie wird da geplant, mit dem Ziel, ein zwölf Meilen von Barton Park in Devon gelegenes Haus zu besuchen, dessen Gärten als besonders schön gelten. Ein natürlicher See (oder wenigstens einer, der so aussieht) von beeindruckender Größe lockte, wollte man hier doch den Morgen segelnd verbringen. Ungeachtet der Jahreszeit und des regnerischen Wetters der vergangenen vierzehn Tage wollte die Gruppe in offenen Kutschen fahren. Für das Picknick wurden kalte Platten vorbereitet und gepackt. Der Morgen des Ausflugs begann vielversprechend. Die Sonne war hervorgekommen und alle Teilnehmer der Expedition fröhlich und wild entschlossen, das Beste aus dem Tag zu machen: »Sie waren alle voller Erwartung und guter Laune, freuten sich auf den unterhaltsamen Tag und waren entschlossen, sich dazu den größten Unannehmlichkeiten und Beschwerden auszusetzen.« Dummerweise kommt mit der Morgenpost ein Brief, der Colonel Bardon sofort nach London ruft. Ohne ihn ist jedoch ein Besuch im Haus seines Verwandten unmöglich. So wird dem herbeigefieberten Ausflug ein abruptes Ende gesetzt. Der enttäuschte Willoughby vermutet bösartig, daß der Colonel sich den Brief selbst geschickt hat, weil er Angst vor einer Erkältung und so einen eleganten Absprung gefunden habe.
    Natürlich hat der Colonel überhaupt keine Angst vor Schnupfen oder ähnlichen Widrigkeiten. Absagen aus diesen gesundheitlichen Gründen gesteht Jane Austen nur Invaliden oder anderweitig schwächlichen Personen zu.
    In ihrem Roman »Emma« steht der Ausflug nach Box Hill in Surrey zunächst auch unter keinem besseren Stern. Die Organisatoren dieser Tagestour hatten sich bereits auf Taubenpasteten und kalten Lammbraten als Proviant geeinigt, als ein lahmender Gaul den Ausflug verzögert. Da man jedoch von der Idee eines Ausflugs wie besessen ist, einigt man sich als Alternative auf einen Besuch in Donwell, dem Haus des männlichen Protagonisten, Mr. Knightley. Dieses Ziel ist zu Fuß zu erreichen und stellt vor allem Erdbeeren in

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