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Gebrauchsanweisung für Südengland

Gebrauchsanweisung für Südengland

Titel: Gebrauchsanweisung für Südengland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Kößling
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Aussicht, die in seinem Garten wunderbar reifen.
    Die Picknick-Party wünscht, den Ausflug so natürlich und romantisch wie möglich zu gestalten, mit bändergeschmückten Körben am Arm durch den Garten zu wandeln, Erdbeeren zu pflücken und unter den Bäumen zu sitzen. Das Ansinnen, wie Zigeuner im Freien zu speisen, blockt der Hausherr jedoch höflich ab. Seine Vorstellung von einer einfachen und natürlichen Mahlzeit sieht einen gedeckten Tisch im Eßzimmer vor: »Der Natürlichkeit und Schlichtheit von Herren und Damen, die immer Dienstboten und Möbel um sich haben, entspricht es meiner Ansicht nach mehr, die Mahlzeiten im Haus einzunehmen.«
    Zur Freude aller findet dieser Ausflug tatsächlich statt. Das Wetter ist sommerlich warm, und die Erdbeeren reißen zu Begeisterungsstürmen hin. Es folgt eine Elegie auf die Englische Erdbeere, »The best fruit in England«.
    Dem würden auch die Besucher von Wimbledon nicht widersprechen. Abgesehen von Tennis der Weltklasse genießen Zuschauer vor allem die Erdbeeren mit Schlagsahne, die dort traditionell als kleiner Happen zwischendurch gereicht werden. Aber nicht nur diejenigen, die Zutritt zu den Tribünen mit Blick auf den heiligsten Rasen der Welt ergattert haben, genießen diesen Hauch von Luxus. Auch die Fans, die stunden- und nächtelang vor der Kasse anstehen und -liegen, versüßen sich die Warterei mit Erdbeeren und Schlagsahne und natürlich Champagner zu einem eigenen Fest.
     
     
     
     
    Box Hill, das zweite Ziel von Emma und Co., ist noch heute ein beliebtes Ausflugsziel in Surrey. Man kann nur allen wünschen, daß sie bei der Zusammenstellung der picknickenden Gruppe mehr Erfolg haben als die junge Heldin des nach ihr benannten Romans. Unter den Ausflüglern mochte nicht die richtige Stimmung aufkommen und ein Gefühl der Gemeinschaft stellte sich auch nicht recht ein. Emma jedenfalls findet den Ausflug schrecklich und verbringt die Rückfahrt unter Tränen.
    Allerdings lag das wohl kaum an Box Hill, bei dessen Anblick alle in Begeisterung und Bewunderung ausbrechen. Die Landschaft könnte südenglischer nicht sein. Peter Sager nennt sie »lyrisch« statt »dramatisch«, »eine Variation in Grün und Grau, eine Landschaft in Wasserfarben mit den sanften Sensationen der Atmosphäre, des Dunstes, der verschwimmenden Konturen«. Und das, obwohl dieser wunderbare Hügel, der sich mit Buchsbaum und Wacholder bewachsen 120 Meter über das Flüßchen Mole erhebt, ein magischer Anziehungspunkt für stadtmüde Londoner ist. Am Wochenende und an Feiertagen kommen sie in Scharen, noch immer bewaffnet mit Picknickkörben und dem einen oder anderen Grill.
    Und noch etwas hat sich seit Emmas Besuch auf Box Hill geändert, obwohl er schon damals kein Insider-Tip war. Heute finden Besucher des Hügels, der sich im Besitz des National Trust befindet, einen Shop, ein Informationszentrum und das ganze Jahr über einen Kiosk vor, der Take-Away-Snacks und Getränke verkauft. Das hätte sich weder John Keats noch George Meredith denken können, die 1817 bzw. fünfzig Jahre später auf Box Hill Inspiration für ihre Gedichte suchten und fanden.
     
     
    Über die Jahrhunderte haben sich englische Picknicks oder, genauer gesagt, der Inhalt der Picknickkörbe, erheblich weiterentwickelt. Heutzutage sorgt ein ganzer Industriezweig für die nötigen Accessoires. Körbe, ob rund oder eckig, für zwei oder vier Personen, sind ausgestattet mit edlem Porzellan. Selbst für Hunde gibt es inzwischen die entsprechende Ausrüstung. In einem Zeitalter, in dem es sich kaum jemand leisten kann, bei längeren Spaziergängen einen Butler mit dem Schleppen des Korbes zu beauftragen, muß man nach Alternativen suchen. Natürlich gibt es überall ausreichend reizvolle Flecken, die man mit dem Auto erreichen kann. Doch was soll man tun, wenn man sich unbedingt etwas weiter entfernt vom Parkplatz niederlassen möchte? Die Antwort darauf hat die Industrie gegeben: Der Picknick-Rucksack. Das Innenleben ist gut isoliert und bietet Platz für Proviant. In der Vordertasche verstecken sich Weingläser, denen man nicht mehr ansieht, daß sie aus Plastik sind. Außerdem findet der Picknickfreund Besteck, Brettchen oder Teller, Pfeffer und Salzstreuer und sogar farblich abgestimmte Stoffservietten.
    Als Lewis Carroll, der Autor von »Alice im Wunderland«, mit den drei Liddell-Mädchen 1862 die Themse entlang ruderte, sah das noch anders aus. Ihr Proviant bestand aus kaltem gebratenem Hühnchen, Salat,

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