Gebrauchsanweisung für Südengland
niemand.
Nachdem ich im unwirtlichen Herbstwetter über endlose, einsame Landstraßen bereits eine ansehnliche Strecke zurückgelegt hatte, stieg ich erst einmal ein wenig im Weinberg herum und las, daß es sich bei den Reben vor mir um Reichensteiner handelte und in der Reihe daneben Siegerrebe wuchs. Ein Kuriosum des englischen Weinbaus ist übrigens, daß in der Regel deutsche Rebzüchtungen angebaut werden, die man zwar in Deutschland kaufen, aber bis vor kurzem hier nicht anbauen durfte. Die zuständigen Stellen versuchten, den Rebsortenspiegel der deutschen Weinregionen möglichst begrenzt zu halten und verhinderten so die Zulassung neuer Rebsorten wie zum Beispiel Rondo. Doch auch in Deutschland wandelt sich diese Einstellung allmählich.
Als ich mich so langsam etwas ratlos wieder auf den Weg zum Auto machte, kam mir ein junger Mann und sein schwarzer Labrador entgegen, um sich freundlich zu erkundigen, was ich denn hier suchte, war doch der Laden ab Oktober in der Regel geschlossen. Roger White, so hieß der Mann, erzählte, daß viele Touristen an seinem Hinweisschild vorbeikommen, da sein Weinberg direkt oberhalb der alten Hauptstraße zwischen Tiverton und Exeter liegt, die das Flüßchen Exe mit all seinen Biegungen begleitet. Nur wenige Kilometer weiter südlich von der Abbiegung nach Yearlstone liegt das Örtchen Bickleigh, dessen steinerne Brücke über die Stromschnellen des Exe von Simon & Garfunkel in dem Lied »Bridge over troubled water« verewigt wurde. Aber das hat natürlich überhaupt nichts mit dem Thema Wein zu tun und sei nur am Rande erwähnt.
Die Touristen, die neugierig dem Hinweisschild nach Yearlstone folgen, sind gerne bereit, den Wein zu probieren und dann auch zu kaufen. Vom letzten Jahr war denn auch nur noch der Rosé und ein trockener Weißwein übrig. Der Rosé sah zwar überhaupt nicht so aus, wie man sich bei uns einen Rosé vorstellt – vom Aussehen und Geschmack her konnte er durchaus mit einem Spätburgunder von der Ahr mithalten.
Noch werden die Weintrauben von Martin Cursham in Staplecombe bei Taunton verarbeitet, der auch selbst Wein anbaut. Aber Rogers Frau Juliet ist gerade dabei, sich zur Winzerin ausbilden zu lassen. Dafür nimmt sie einmal pro Woche den weiten Weg nach Sussex in der Nähe von London auf sich.
Ein paar Wochen später war ich mit Derek Pritchard in seinem Weinberg verabredet. Obwohl bereits der 3. November, war es so sommerlich warm, daß man im T-Shirt unterwegs sein konnte (soviel zum Thema englisches Wetter …). Derek ist stolz auf die Räumlichkeiten, in denen er seinen Wein macht. Von Romantik konnte da keine Rede sein – blitzender Stahl, wohin man auch sah. Wenn da nicht der leichte Duft fermentierender Trauben in der Luft gelegen hätte, man hätte sich in einem Labor wähnen können. Im nächsten Jahr, so hofft Derek, soll dieses Gebäude soweit sein, daß er hier einen Raum speziell für Weinproben einrichten kann. Dann will er mit Restaurantchefs und den Herstellern lokaler Produkte Weinproben durchführen, um dem Publikum endlich die Möglichkeit zu geben, mehr über Wein zu lernen.
Derek wäre am liebsten hauptberuflich Winzer. Allerdings muß er zur Zeit noch sein Geld im wesentlichen mit der Einfuhr deutscher Maschinen zur Weintraubenverarbeitung verdienen. Wer hätte gedacht, daß es dafür einen Markt in England gibt?
Durch sein Importgeschäft hatten Derek und seine Frau sich häufig in Deutschland aufgehalten. Schließlich verbrachten sie einige Zeit in der Lehr- und Versuchsanstalt in Geisenheim, wo sie sich die Geheimnisse des Weinbaus aneigneten. Dann kauften sie auch noch zwei Weinberge an der Saar. Dort wird natürlich Riesling angebaut, den die beiden auch in England verkaufen.
Allerdings, so schimpft Derek, hätte kaum jemand Verständnis dafür, daß diese Weine eben ein wenig teurer seien. Alle erwarteten, deutsche Weine praktisch umsonst im Supermarkt zu bekommen, doch das, was da angeboten würde, wäre ja nur Fusel. Derek spukt die Namen dieser Weine, Liebfraumilch, Hock und Blue Nunn, förmlich aus. Recht hat er – diese süßen, leicht alkoholisierten Traubensäfte haben es kaum verdient, mit dem Titel »Wein« geadelt zu werden.
Wenn man sich die Apparaturen ansieht, die Derek für seinen Wein braucht, dann wundert es kaum, daß man seine Weißweine nicht unter fünf Pfund bekommt. Die Rotweine aus den Trauben Rondo, Dunkelfelder und Dornfelder, zum Teil im Barrique gereift, kosten sogar neun Pfund oder
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