Gebrauchsanweisung für Südengland
umgerechnet etwa 14 Euro – kein geringer Preis. Voller Stolz zeigt Derek das Gerät, das die Trauben entstielt und damit garantiert, daß die Weine weniger von den Tanninen enthalten, die sonst beim Trinken ein Fell auf der Zunge wachsen lassen.
Im Weinberg hat sich die Sonne zwischen den rotgefärbten Blättern der Reben gefangen. An einigen hängen noch Trauben, zur Freude von Fasanen und anderem Getier. Von hier aus hat man einen wunderbaren Blick auf die kahlen Höhen des Exmoors. In weiter Ferne sieht man Exmoor Ponys und Rotwild über die abgeblühte Heide ziehen. Es riecht nach gefallenem Laub und vergorenen Trauben. Der Herbst hat Dunkery Beacon schon erreicht. Zeit nach Hause zu gehen und den Abend bei Hirschragout und einem Glas Rotwein ausklingen zu lassen.
Intermezzo: Glockenspiele
Nowhere outside England except for a very jew towers in The rest of The British Isles, America and The Dominions, are bells rung so well.
John Betjeman , English Parish Churches
Eingebettet in die sanft gewellte Landschaft des englischen Südens liegen verschlafene Dörfchen, mittendrin die Kirchen. Wachturmgleich überragen sie die Häuser, Wiesen und Weiden in ihrem typischen spätgotischen perpendicular style. Sonntags morgens und zu bestimmten Zeiten während der Woche klingt ihr Glockengeläut durch die ländliche Stille. Das Läuten ist nicht mit dem majestätischen Ding-Dong deutscher Kathedralen oder dem hektischen Bim-Bim-Bim der Kapellen zu vergleichen. In England hört man abwechslungsreiche Melodienfolgen, deren Töne oft eine ganze Oktave umspannen.
Hinter dem melodischen Geläut stecken bis zu zehn Personen, die nach einem bestimmten Zahlendiagramm an den Glockensträngen ziehen. Je nach Anlaß werden Stücke mit Namen wie »Norwich Surprise« oder »Morning Star Treble Bob« geläutet. Zu besonderen Festlichkeiten gibt es auch schon mal einen sogenannten »Peal« – dieser besteht aus 5.040 Runden à sechs bis zehn Glocken und dauert im Durchschnitt zweieinhalb Stunden!
Einfach ist das freilich nicht. So schön das Glockengeläut klingt, so kompliziert sind die Zahlendiagramme. Jeder Glöckner muß sich darauf konzentrieren, den Pfad seiner Glocke zu kennen, denn die Abfolge der Glockenschläge ändert sich mit jeder Runde. Method ringing nennt man diese Gehirnakrobatik.
Da gibt es, als die simpelste Variante, die einfache Jagd. Ein »Oxford Bob« genanntes Läuten sieht wie folgt aus (verfolgen Sie den path von Glocke 1):
123456
214365
241356
423165
432615
346251
364521
635412
653142
561324
516342
153624
156342
513624
531642
356124
365214
Auch wenn man es kaum glauben mag: es geht noch komplizierter. Eine Zeitlang werden die Glocken in der gleichen Reihenfolge geläutet, dann wird der Wechsel ausgerufen vom Läutmeister. Aus 123456 wird dann zum Beispiel 132456. Das ist natürlich nicht der Willkür der Glöckner überlassen. Es gibt Sammlungen beliebter changes, die Namen tragen wie Queens, Tittums und Whittingtons. Wohl dem, der über gute Konzentrationsfähigkeiten in Kombination mit einer gewissen Fitneß verfügt – der Einsatz an der Glocke ist eine interessante Alternative zum Fitneßcenter. Kein Wunder, daß Glöckner in England von ihrem Hobby als körperliche Ertüchtigung sprechen.
Insgesamt gibt es noch 40.000 Glöckner in Großbritannien, die in ihrer Freizeit regelmäßig proben und am Sonntag den Gottesdienst einläuten. Doch schweigen trotzdem viele Glockentürme, denn die Zahl der Glöckner reicht bei weitem nicht aus. Heute müssen viele engagierte Glöckner – sehr zum Leidwesen der Pfarrer – sofort nach Gottesdienstbeginn los, um in einer anderen Kirche in der Nachbarschaft die Glocken zu läuten. Der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gegründete Glöcknerverein möchte diesem unfreiwilligen Glöcknertourismus gerne ein Ende machen. Deshalb hat er bereits 1997 zu der Kampagne Bells for the Millennium aufgerufen. Freiwillige wurden gesucht, sich in die Kunst des Glockenläutens einführen zu lassen, damit am 1. Januar 2000 um 12 Uhr mittags in ganz Großbritannien die Glocken das neue Jahrtausend feiern konnten.
In Minehead, dem kleinen Seebad am Rande des Exmoor, trifft sich jeden Freitag um halb neun Uhr abends eine kleine, buntgemischte Gruppe zur Probe im Glockenturm von St. Michaels. Die jüngsten Glöckner sind gerade erst zwölf Jahre alt. Die ältesten sind bereits im Rentenalter.
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