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Gebrauchsanweisung für Südengland

Gebrauchsanweisung für Südengland

Titel: Gebrauchsanweisung für Südengland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Kößling
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von Tee und stellte fest: »Wenn sie nach dem Aufstehen keine Tasse Tee bekommen haben, beginnen viele Menschen den Tag mit einem unglücklichen Gefühl, als wenn sie beim Aufschlagen der Zeitung gelesen hätten, daß der australische Kontinent in den Fluten des Ozeans untergegangen wäre.« Der Tasse Tee am Nachmittag kommt die gleiche Bedeutung zu wie dem ersten Schluck am Morgen. Lynd erzählt von einer Krankenschwester, für die Teeentzug die denkbar schlimmste Katastrophe darstellte: »Wenn sie zehn Minuten länger als sonst üblich auf ihren Tee warten mußte, machte sich ein Ausdruck auf ihrem Gesicht breit, als sei sie vom Hungertod bedroht.«
    Vorsicht ist übrigens angebracht, wenn Sie von einem Engländer zum Tee eingeladen werden. Handelt es sich bei Ihrem Gastgeber um ein Mitglied der oberen Schichten, wird Ihnen genau das serviert, was Sie erwartet haben: schwarzer Tee, dazu ein Kännchen mit Milch, und für den kleinen Appetit cucumber sandwiches (Weißbrothäppchen mit Salatgurke belegt) oder etwas Süßes. Wenn Sie allerdings bei Engländern eingeladen sind, die eher den unteren Klassen angehören, machen Sie sich auf ein solides Abendessen gefaßt, das mindestens aus Fleisch und drei Gemüsesorten besteht. An der Uhrzeit können Sie den Unterschied leider nicht ablesen: in beiden Fällen erwartet man Sie gegen 17 Uhr.
    Wenn Tee alleine in England schon als Nahrung für die Seele gilt, dann kommt cream tea einer Götterspeisung gleich. Das hat nun nichts mit Sahne im Tee zu tun, sondern steht für eine Leckerei, die im Südwesten Englands zu göttlicher Perfektion getrieben wurde. Zugegeben eine ziemlich kalorienhaltige. Unweigerlich murmelt jeder vor der Bestellung eines cream tea die Beschwörungsformel »Eigentlich sollte ich ja nicht …«, bevor er oder sie alle Diätpläne über Bord wirft und sich willenlos der Sünde hingibt.
    Frischgebackene, noch warme scones (eine Art Brötchen), selbstgemachte Erdbeermarmelade und dazu eine großzügige Portion clotted cream, die sahnig und doch so fest sein muß, daß der Löffel darin stehenbleibt, das ist – dem verzückten Blick der Genießer nach zu urteilen – gleichbedeutend mit einem Ausflug ins Paradies.
    Die Ursprünge der clotted cream sind ebenso märchenhaft wie ihr Anblick. Der Riese Blunderbus lebte einst glücklich und zufrieden mit seinen vier Ehefrauen im Dartmoor in Devon. Drei dieser Frauen waren vorzügliche Köchinnen, nur Jennie, die vierte und jüngste, hatte mit Kochen einfach nichts im Sinn. Nichts gelang ihr: Das Fleisch war immer angebrannt, das Gemüse zerkocht und der Einsatz von Gewürzen ein Buch mit sieben Siegeln. Eine Weile schaute sich Blunderbus die Versuchsreihen von Jennie an, dann hatte er genug. Jennie wurde ins Exil nach Cornwall geschickt. Da saß die Arme nun, einsam und verlassen, in ihrer Höhle in den Klippen und schaute traurig aufs Meer. Eines Tages bemerkte sie ein phönizisches Schiff am Horizont, dem sich ein Piratenschiff näherte. Schnell zündete sie ein großes Feuer und konnte so die ehrbaren Seeleute retten.
    Der phönizische Kapitän war ihr natürlich für die Rettung sehr dankbar. Als er von ihrem traurigen Los erfuhr, brachte er ihr bei, wie sie eine Köstlichkeit zubereiten konnte, bei der selbst Jennie nichts verkehrt machen konnte. So sollte sie die Liebe des Riesen Blunderbus zurückgewinnen. Tatsächlich war Blunderbus von dem neuen Gericht begeistert, und Jennie durfte nach Hause zurückkehren. So kam clotted cream nach Devon.
    Allerdings streitet man noch heute darüber, ob clotted cream eine typische Spezialität Cornwalls oder Devons ist. Unbestritten ist jedoch, daß man im Libanon auch heutzutage noch clotted cream herstellt. Damit ist die Legende von den phönizischen Ursprüngen vielleicht gar nicht so abwegig.
    Auf jeden Fall findet man bereits im ausgehenden Mittelalter Hinweise auf die Zubereitung von clotted cream : Schon Anfang des 14. Jahrhunderts benutzten die Mönche von Tavistock Abbey clotted cream zur Herstellung von Butter, wobei die Milch von Kühen und Schafen verwendet wurde. 1542 verwies Andrew Boorde in seiner Abhandlung »Dyetarie« darauf, daß clotted cream nicht als gesundes Nahrungsmittel im engeren Sinne gegessen wurde, sondern eher als eine Streicheleinheit für die Sinne zu betrachten sei: »Clowted crayem … is eaten more for a sensual appetite than for any good nourishment«. Daran hat sich in den letzten knapp fünfhundert Jahren nichts, aber auch gar

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