Gebrauchsanweisung für Südengland
nichts, geändert.
Früher war es üblich, daß jeder Bauernhof seine eigene clotted cream herstellte. Clotted stammt übrigens von dem Wort clout (Lappen). Es beschreibt die Entstehung der dicken Haut, die sich auf der Sahne beim Kochen bildet. Die Farmer nutzten so die am Abend noch übriggebliebene Milch. Über Nacht blieb die Milch an einem kühlen Ort, damit die Sahne sich absetzen konnte. Am nächsten Morgen wurde die Milch erwärmt und knapp unter dem Siedepunkt gehalten, bis die Flüssigkeit verdunstet war und sich eine dicke, gelbe Sahnehaut gebildet hatte. Wieder wurde die Schüssel über Nacht kalt gestellt, damit sich die Sahne verdicken konnte. Dann schöpfte man die clotted cream mit einem Schöpflöffel oder mit Hilfe einer flachen Muschel ab. So konnte man einen Hauch von Luxus in den harten und entbehrungsreichen Alltag bringen.
Zahlreiche Besucher des englischen Südwestens schwärmen über die Jahrhunderte von dieser köstlichen Spezialität. William Gladstone, einer der großen Staatsmänner des viktorianischen Zeitalters (1809-1898), bringt es wohl auf den Punkt: » Clotted cream ist eine Speise der Götter.«
Es soll Leute geben, die ihren Urlaub im West Country damit verbringen, den perfekten cream tea zu finden. Jeder Tea Room und jeder Tea Garden hat die Kombination aus scones, Erdbeermarmelade und clotted cream im Angebot, aber nur dort, wo die scones nicht schon beim Hinsehen bröseln, die Marmelade wirklich hausgemacht ist und die clotted cream sahnig-fest in großen Mengen serviert wird, werden Punkte wie Michelin- Sterne vergeben. Der dazu servierte Tee sollte frisch gebrüht und nicht ein müder Aufguß aus Teebeuteln sein. Wenn dann noch das Ambiente stimmt, das Geschirr hübsch geblümt und die Aussicht malerisch ist, dann weiß man, daß man Urlaub in West Country macht.
Heftig diskutiert wird übrigens unter Kennern, ob der beste Platz der clotted cream unter oder über der Marmelade ist. In Devon und Somerset beginnt man mit der clotted cream, in Cornwall wird zuerst die Erdbeermarmelade auf dem scone verteilt. Die Vertreter der Cornwall-Fraktion behaupten, daß die Bewohner Devons ihre clotted cream unter der Marmelade verstecken wollen – aber, unter uns, wahrscheinlich haben diese nur herausgefunden, daß man so viel mehr clotted cream auf seinen scone bekommt.
Eine Variante dazu ist thunder and lightning (Donner und Blitz). Dabei wird Sirup aus höchster Höhe auf die clotted cream geträufelt. Der Trick besteht darin, das scone zu essen, bevor der Sirup über den Rand des Brötchens gelaufen ist. In seiner Geschichte der Tate & Lyle Syrup Company wunderte sich Sir Oliver Lyle, warum in Cornwall pro Kopf mehr Sirup verkauft wurde als im ganzen restlichen Land zusammen. Offensichtlich hatte er noch nie etwas von thunder and lightning gehört. 1998 lag der Sirupverbrauch im Südwesten Englands immer noch um 60 Prozent über dem nationalen Durchschnitt.
Cornish pasty, cider und cream teas sind Spezialitäten, die typisch sind für Südengland und die man eigentlich nirgendwo sonst in der Qualität des Originals bekommen kann. Aber es gibt noch ein Produkt in Südengland, das bemerkenswert ist, wenn es auch nie zu Weltberühmtheit gelangen, sondern eher als Skurrilität belächelt wird: Die Rede ist von Wein, den bereits die Römer in Kent anbauten. Überraschend häufig kommt man an Hinweisschildern vorbei, die, mit einer stilisierten Traube versehen, auf einen Weinberg hinweisen, der für die Öffentlichkeit zugänglich ist. Einige davon betreiben ihr Gewerbe hochprofessionell, andere eher als Hobby. Wichtig ist übrigens, daß auf den Etiketten der Zusatz »English Wine« vermerkt ist, denn nur dann wurden in England gezogene Trauben in Wein verwandelt – »British Wine« gibt es zwar auch, doch wird dafür aus dem Ausland importierter Traubensaft in Großbritannien mehr recht als schlecht zu Wein verarbeitet.
Der Weinanbau in England gewann erst in den vergangenen zwanzig Jahren wieder an Popularität. In ganz England und Wales sind ungefähr 800 Hektar mit Reben bepflanzt, aus denen Wein gewonnen wird. 1996 war ein Glanzjahr für den englischen Weinanbau. Es wurden insgesamt 26.573 Hektoliter produziert – im Vergleich zu gerade mal 1.000 Hektoliter im Jahr 1979.
Gay Biddlecombe erzählt in »A Vine Romance« von den Widrigkeiten, die einen Laien befallen, der es sich in den Kopf gesetzt hat, in Sussex Wein anzubauen. Und zwar nicht als Hobby,
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