Gebrochen
haben“, sagte Hannes mitfühlend.
„Woher willst du das wissen?“, fragte ich gereizt.
„Hat er reagiert. Diesmal?“, fragte er zurück. Ich schüttelte den Kopf. Hannes hatte ja Recht. Oder aber auch nicht. Wenn Leon wirklich einfach nur seine Ruhe hätte haben wollen, dann hätte er mich weggeschickt. Zumindest war es das, was ich mir einredete. Das wurde mir jetzt bewusst.
„Ich werd aufpassen“, murmelte ich. Hannes nickte zufrieden und wir gingen zu den anderen zurück.
Doch ich konnte Leons Blick nicht vergessen. Der Schmerz und die Verzweiflung. Warum hatte er mich so angesehen? Was war dieser Blick gewesen, wenn kein stummer Schrei nach Hilfe?
Ich setzte es fort, dass ich ihm etwas zu Essen brachte, wenn er mich ansah. Ich wartete förmlich auf seinen Blick. Einmal die Woche traf er mich mindestens. Doch ich redete nicht mehr mit ihm. Ich stand nur eine Weile schweigend neben ihm. Ich wollte ihm die Chance geben, dass ich da war, falls er doch etwas los werden wollte.
***
Nach zwei Monaten rechnete ich nicht mehr damit, dass er mit mir reden würde. Trotzdem bot ich es ihm nach wie vor an. Mit meinen Gedanken war ich allerdings bei der Matura, die immer näher rückte. Jede Woche ein Stück. Meine Freunde hatten mich tatsächlich fallen gelassen, weshalb ich nur noch mit Hannes abhing. Wir kannten uns schon ewig. Auf ihn konnte ich mich verlassen. Er sagte auch nichts mehr zu meinen Aktionen mit Leon. Nur manchmal traf mich sein besorgter Blick, wenn ich wieder zu ihm kam. Ich schüttelte dann immer lächelnd den Kopf. Ich war mir schon klar, dass man Menschen nur helfen konnte, wenn diese es auch wollten und zuließen.
Mit der Zeit wurde es immer stressiger in der Schule. Jeder Lehrer meinte, sein Unterrichtsfach wäre das wichtigste. Jeder meinte, für seines müsste man am besten vorbereitet sein. Dementsprechend häufte sich die Arbeit, die wir zu erledigen hatten. Mittlerweile hoffte ich nur noch, dass diese dämliche Matura vorbei wäre. Und dann war es endlich soweit. Alle Prüfungen waren abgelegt und wir bekamen feierlich unser Zeugnis überreicht. Alle waren gut gelaunt und fröhlich, als wir uns im Hof versammelten. Wir hatten – warum auch immer – ein Buffet für die Lehrer aufgebaut. Sogar die meisten Eltern waren da, um der Zeugnisübergabe beizuwohnen. Ich fand das ganze Tam-Tam lächerlich. Ich wollte nur mein Zeugnis und dann der Schule für immer den Rücken kehren. Aber was konnte ich schon machen? Außerdem war die ausgelassene Stimmung ansteckend und ich konnte die Freude darüber, dass die Schule vorbei war, nicht länger verbergen.
Trotzdem wollte ich nicht all zu lange bleiben. Hannes hatte eine ähnliche Einstellung, weshalb wir zwei die ersten waren, die abhauten. Wir gingen durch das Schulgebäude nach draußen, weil es der kürzeste Weg zu den Autos war. Gerade als wir auf den Parkplatz traten, löste sich eine Gestalt aus dem Schatten der Bäume. Es war Leon, der auf uns zukam. Überrascht hielt ich inne. Er kam auf einen Meter heran und hob den Kopf. Eine Seltenheit, wie mir mittlerweile mehr als klar war.
„Danke“, sagte er flüsternd. Ich konnte nur nicken, denn als mich sein Blick traf, ging ich fast in die Knie. Hannes griff nach meinem Arm, um mich zu stützen, da hatte Leon sich schon abgewandt.
„Was war das?“, fragte Hannes fassungslos. Ich war nicht weniger fassungslos, trotzdem fragte ich: „Was?“
„Dieser Blick. Was hat er …“, er brach ab.
„Keine Ahnung“, murmelte ich nur. Dieser Blick war noch viel schlimmer gewesen, als der, den er mir vor Monaten zugeworfen hatte. Es war Hoffnungslosigkeit und Resignation. Schmerz und Angst. Hilflosigkeit.
Nur langsam kam ich wieder ganz zu mir und wir gingen zu den Autos. Wenigstens, so dachte ich mir, schien er wirklich dankbar zu sein, für meine Bemühungen. Er schien sie wirklich geschätzt zu haben. Wäre es anders, hätte er nicht auf mich gewartet.
Es folgte eine schöne Zeit des Faulenzens. Eine ganze Woche Zeit, bevor wir auf Maturareise fliegen würden. Ich verbrachte sie hauptsächlich mit Hannes.
Die Reise selbst war zwei Wochen lang und feuchtfröhlich. So viel getrunken und gefeiert hatte ich noch nie zuvor. Von der Insel auf der wir waren, bekam ich außer unserem Hotel und zwei oder drei Bars nichts zu sehen, doch das war ja auch Sinn und Zweck einer solchen Reise. Trotzdem hatte ich danach für einige Zeit genug vom Alkohol. Dass Leon nicht mit war, wunderte mich
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