Gebrochen
wieder um die Semmel, die ich gerade hatte essen wollen und ging zu ihm.
„Hi“, begrüßte ich ihn wieder. Ich war mir sicher gewesen, dass sein Blick einer Aufforderung gleich zu setzen wäre. Doch er reagierte nicht, wenn man davon absah, dass er seine Hand auf den Bauch presste. Bekam er zu Hause nichts? Diese Frage schoss mir in den Kopf, als ich ihm meine Semmel hin hielt. Womit ich nicht gerechnet hatte, passierte. Er hob den Kopf, flüsterte: „Danke.“
Dann nahm er die Semmel, als er den Blick schon wieder senkte. Fast gierig war es, wie er die Folie wegriss und in die Semmel biss. Allerdings kaute er ganz langsam, als wollte er es ganz besonders genießen. Ich kam mir überflüssig vor, weshalb ich wieder verschwand.
Ich holte mir eine neue Semmel und stellte mich wieder zu meinen Freunden.
„Willst du ihn vielleicht durchfüttern?“, fragte Nina verächtlich. Ich wollte sie schon fragen, wann sie das letzte Mal solchen Hunger gehabt hatte, dass sie richtige Magenschmerzen davon bekommen hatte. Doch ich hielt es zurück. Das war Leons Sache, es war ihm bestimmt unangenehm, wenn ich das ausplauderte. Stattdessen meinte ich nur: „Es wird mich nicht in den finanziellen Ruin treiben.“
Nina schnaubte und Hannes, mein bester Freund, warf mir einen stirnrunzelnden Blick zu. Ich wusste schon, was das bedeutete, doch es war mir egal. Ich hatte Leon geholfen, dass war alles, was im Moment wichtig war.
Gegen meine Erwartung, sprach Hannes mich nicht weiter darauf an. Doch früher oder später würde er es machen, das war mir klar. Und vollkommen egal. Irgendwie kamen mir die Probleme, die wir immer gemeinsam erörtert hatten, nun vollkommen nichtig vor.
Die nächsten zwei Tage war Leon wieder vollkommen teilnahmslos. Am dritten warf er mir wieder einen Blick zu. Ohne weiter zu überlegen, ging ich zum Buffet und danach zu ihm. Wortlos diesmal, gab ich ihm das Essen. Ohne den Blick zu heben, nahm er es. Biss genauso andächtig ab, wie vor drei Tagen.
So setzte es sich die nächsten zwei Wochen fort. Allerdings wurde sein Griff immer zögernder. Zweifellos war es ihm unangenehm, sich das Essen zu erbetteln. Denn mehr war es in Wirklichkeit nicht. Das war der Grund, warum ich bei ihm blieb. Ich lehnte mich neben ihn gegen die Wand und wartete, bis er fertig war. Ich wollte ihm den Genuss nicht verderben, denn er kaute jeden einzelnen Bissen so sorgfältig. Erst dann sagte ich leise: „Es macht mir nichts aus. Also kannst du es ruhig nehmen.“
Zuerst reagierte er gar nicht, dann nickte er kaum merklich. Immerhin war das schon mal eine Antwort. Ermutigt und wieder motiviert, vielleicht doch noch sein Freund sein zu können, stellte ich die nächste Frage: „Alles in Ordnung so weit?“
Das war scheinbar die falsche Frage gewesen. Seine Haltung versteifte sich komplett, jeder Muskel schien angespannt zu sein. Ich schimpfte mich einen Idioten. Das bei ihm gar nichts in Ordnung war, war mir nach seinem Blick ja schon klar gewesen.
„Entschuldige. Wenn du reden willst…“, ließ ich meinen nächsten Satz offen. Er reagierte gar nicht. Seufzend gab ich für heute auf. Doch das nächste Mal würde ich es wieder versuchen.
Genau das tat ich auch. Als er mir wieder einen Blick zuwarf – nach vier Tagen – ging ich zu ihm. Ich dachte mir, dass diese Blicke unbewusst waren, denn sonst würde er nicht wieder so zögerlich nach dem Essen greifen. Diesmal fragte ich nach seinem Hobby. Er reagierte nicht.
Das nächste Mal fragte ich nach Büchern, die er gern hatte. Er reagierte nicht.
Dann fragte ich nach Filmen, die er mochte. Er reagierte nicht.
Als ich nach meinem fünften erfolglosen Versuch zu meinen Freunden kam, zog mich Hannes wortlos von den anderen weg. Niedergeschlagen, weil ich bei Leon nicht weiterkam, ging ich einfach mit. Obwohl ich keine Lust auf seine Standpauke hatte. Ich wusste, dass meine Freunde alle dachten, ich hätte sie nicht mehr alle. Sie gaben mir sogar das Gefühl, dass sie nichts mehr mit mir zu tun haben wollten. Doch das war mir egal.
Nur Hannes gab mir das Gefühl nicht. Jetzt sagte er leise: „Steiger dich nicht in was rein.“
„Mach ich doch nicht!“, fuhr ich auf.
„Verwechsle nicht Mitleid mit was anderem“, fuhr er fort, als hätte ich nichts gesagt. Wütend blickte ich ihn an. Er sorgte sich wirklich, wurde mir in dem Moment klar.
„Es ist nicht nur Mitleid. Ich will ihm einfach helfen“, sagte ich kläglich.
„Wobei denn? Er will seine Ruhe
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