Gebrochene Schwingen
noch nicht da.«
»Er wird kommen. Ich kümmere mich darum«, versicherte ich ihr.
»Vielen Dank«, sagte Martha. Beide schauten wir Jillian noch einmal an. Sie hatte nicht einmal mit der Wimper gezuckt.
»Schuld ist etwas, was der Mensch am allerschwersten ertragen kann«, sagte ich, fast nur noch flüsternd, mehr zu mir selbst. Doch Martha hatte es gehört und stimmte mir zu.
Ich verließ das Zimmer und eilte hinüber zu unseren Räumen.
Ich wollte vermeiden, daß die Dienstboten meine Tränen sahen. Ich wußte, daß das, was Jillian gesagt hatte, wofür ihr die anderen die Schuld gaben und wofür sie sich immer schuldig gefühlt hatte, immer tief in ihr geschlummert hatte, bereit, bei der ersten Gelegenheit aufzutauchen und das Werk der Zerstörung an ihrer schon kranken Seele fortzuführen.
Das gleiche galt auch für mich. Bis jetzt war ich recht erfolgreich gewesen, jene Gedanken zu unterdrücken. Aber nun, wo ich Jillian gesehen und gehört hatte, fragte ich mich, wann sie wohl aufsteigen würden, um mich zu bedrohen, wann ich, wie Jillian, Geister sehen würde… Troys Geist. Ich hätte mich mehr darum kümmern sollen, daß er nicht so verzweifelte. Natürlich hätte ich ihn nicht allein lassen und herumreisen dürfen. Ihn zurücklassen in der Hütte, in unserem Liebesnest, wo wir so viele glückliche Stunden verbracht hatten.
Wie viele Nächte mag er wohl wachgelegen und darüber gegrübelt haben, warum ich ihn hatte fallen lassen, warum ich unser Schicksal akzeptiert hatte? Ich wußte doch, wie sehr er sich in Verzweiflung fallen lassen konnte. Er nahm jeden Schmerz so schwer, und dennoch ließ ich ihn allein mit dem größten Schmerz von allen… einem gebrochenen Herzen. Er hatte keine Hoffnung mehr. Er mußte glauben, daß die dunkle Einsamkeit, die er jetzt erlitt, für sein ganzes Leben anhalten würde.
Wenn ich in Jillians Augen schaute, konnte ich den Schmerz, den sie verspürte, nachvollziehen. Davor, wie vor ihrem Wahnsinn, mußte ich flüchten. Würde auch mich die Schuld packen und schütteln, bis ich verrückt wurde und nur noch in meinen sorgenvollen Gedanken lebte?
O Troy, Troy, wie solltest du auch wissen, daß du der letzte Mensch auf Erden warst, dem ich hätte Kummer bereiten wollen!
Doch ich mußte die Gedanken an Troy weit von mir schieben. Ich war jetzt die Frau von Logan, und ich mußte dafür sorgen, daß ich ihm niemals so viel Kummer bereiten würde wie Troy.
Ich duschte mich, zog mich um und ging wieder nach unten, um Tony zu suchen und ihm zu sagen, daß er unbedingt mit Martha Goodman sprechen müsse.
Tony und Logan waren nicht mehr im Büro. Curtis sagte mir, daß sie eine Botschaft hinterlassen hatten und daß sie nach Boston gefahren waren.
»Es geht um Pläne für die Fabrik in Winnerow«, sagte Curtis leicht geknickt, weil er sich nicht mehr an den genauen Wortlaut der Botschaft erinnern konnte.
»Machen Sie sich keine Sorgen, Curtis. Vielen Dank.« Ich wußte nicht, ob ich über Logans Hingabe an die Tatterton-Spielzeugwerke lachen oder weinen sollte. Eigentlich mußte er müde sein von der Reise, aber das hatte ihn nicht abgehalten, seine Entschlossenheit zu zeigen. Tony hätte es eigentlich auch wissen sollen, dachte ich. Warum sorgte er derartig verbissen dafür, daß Logan sich ständig um das Geschäft kümmern mußte? Er hatte doch, was er haben wollte – er hatte uns, die wir bei ihm wohnten und seinen Wohlstand mit ihm teilten, und er hatte Logan, der für ihn arbeitete. Tony sollte sich lieber mehr um Jillian kümmern.
»Sie haben gesagt, Sie sollten sich keine Gedanken machen.
Sie würden rechtzeitig zum Essen zurückkommen.«
Oh, wie gern wäre ich in diesem Moment doch lustig und fröhlich gewesen, anstatt bekümmert und besorgt. Ich beschloß, einen Spaziergang zu machen, um meine dunklen und bedrückenden Gedanken zu ordnen.
Ich trug nur eine leichte, hellblaue Bluse und einen Rock.
Fast wäre ich umgekehrt, um mir noch eine Strickjacke zu holen, denn es war kühl geworden, und eine salzige Brise wehte vom Meer her. Statt dessen legte ich die Arme vor die Brust und ging, ganz in meine sorgenvollen Gedanken versunken, immer weiter. Ich merkte gar nicht, wie weit ich mich schon von dem Haupteingang entfernt hatte. Am Eingang des Labyrinths blieb ich stehen und schaute zurück.
Dort, an ihrem Fenster, war Jillian. Sie sah aus wie eine Schaufensterpuppe. Es war schwer, Einzelheiten in ihrem Gesicht zu erkennen, aber ich glaubte, einen Ausdruck
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