Gebrochene Schwingen
hörte er nur das, was er hören wollte. Ich war kurz angebunden. Aber er zog es vor, es nicht zu bemerken.
»Das werde ich, und dann komme ich schnell heim«, sagte er.
Am nächsten Morgen rief Amy Luckett an. Sie war meine Schulfreundin in der Winterhaven-Schule gewesen. Von all den reichen, arroganten, eingebildeten Mädchen, die mir dort das Leben zur Hölle gemacht hatten, war sie am nettesten zu mir gewesen. Sie war nicht verheiratet. Nun fragte sie, ob sie mich besuchen könne. Eine Abwechslung war mir angenehm, und so lud ich sie zum Essen ein.
Tony brach auf, um wieder zur Arbeit zu gehen. Aber nachdem er schon ein paar Stunden fort war, rief sein Büro an, um ihm ein paar Fragen zu stellen. Ich sagte seiner Sekretärin, daß ich ihn eigentlich dort vermutete. Ich hatte keine Ahnung, wo er sich aufhielt. Sie versprach, mich anzurufen, sobald er dort auftauchte. Ich machte mir Sorgen um ihn. Doch als Amy dann eintraf, war ich so beschäftigt mit ihr und merkte erst, als sie wieder gegangen war, daß die Sekretärin nicht wieder angerufen hatte.
Amy hatte beträchtlich zugenommen seit damals, als wir zusammen Schülerinnen an der exklusiven Winterhaven-Mädchenschule gewesen waren. Nun war sie eine Frau mit einem runden Gesicht, einem kleinen Busen und breiten Hüften. Immer noch hatte sie ein sanftes freundliches Lächeln und liebe, braune, fast mandelförmige Augen. Immer noch trug sie ihr Haar zu einem Knoten geschlungen und am Oberkopf festgesteckt. Früher war sie klein und rund gewesen und schüchtern, immer einen Schritt hinter den anderen, in deren Schatten. Aber, anders als diese, schien sie ihre Stellung und ihren Reichtum nicht als Selbstverständlichkeit zu nehmen.
Es war ein klarer, sonniger Tag mit einer leichten Brise, die vom Meer kam. Deshalb ließ ich unser Essen in dem Innenhof, der zum Swimmingpool und dem Aussichtsturm führte, servieren. Curtis hatte Sonnenschirme aufgestellt, und so saßen wir gemütlich und verspeisten Häppchen mit Lachs und Schinken. Ich lauschte, wie sie von ihren Reisen erzählte und von den Menschen, die sie kennengelernt hatte. Dann wechselte sie das Thema.
»Vor einiger Zeit habe ich einen Brief von Faith Morgantile bekommen«, sagte sie, »als ich gerade in London war. Sie verehrt dich sehr.«
»Wie? Faith Morgantile? In der Schule hat sie mich wie eine Aussätzige behandelt.«
»Nun, in Wahrheit war sie immer neidisch auf dich. Sie schrieb, daß du geheiratet hast und wieder nach Farthinggale gezogen bist. Man konnte den Neid geradezu aus den Zeilen tropfen sehen. Wenn sie gekonnt hätte, hätte sie in Blut geschrieben.«
Beide mußten wir lachen.
»Ich versuche, nicht mehr so oft an diese Mädchen zu denken«, sagte ich. »Ich werde so wütend, wenn ich es tue. Ich werde nie vergessen, was sie mir angetan haben.« Ich legte die Arme um mich, als ich an die Pein und an den Schmerz von damals dachte. Junge Mädchen können so grausam sein, dachte ich, besonders so verwöhnte, dekadente, reiche, junge Mädchen.
»Es war grausam, aber wir waren neidisch«, wiederholte Amy mit großen Augen. Zu Anfang hatte sie an allen Aktionen teilgenommen. Wenn sie es nicht getan hätte, wäre sie ihr Opfer geworden. Sie verachteten jeden, der irgendwie anders war. Ich war von Anfang an im Nachteil, denn ich hatte keine Reisen gemacht, und Tony hatte mir die falsche Art von Kleidung gekauft – teure konservative Kleidung.
»Vielleicht war es so. Ich weiß jedoch nicht, worauf sie hätten neidisch sein sollen. Sie waren alle reich und kamen aus guten Familien.«
»Sie konnten nicht anders«, sagte Amy. »Besonders nachdem sie dich mit Troy Tatterton gesehen hatten und du ihnen gesagt hattest, daß er zu gebildet wäre, um mit ihnen auszugehen.«
Ich steckte den Schmerzstich fort, der bei der Erwähnung von Troy durch meinen Körper zuckte, und zwang mich, leicht und lustig zu sein.
»Ich erinnere mich. Das war kurz, nachdem ihr all meine guten Sachen zerstört und meine Pullover zerrissen hattet. Wie arrogant sie doch waren, als ich sagte, daß ich es Mrs. Mallory melden werde. Sie wußten genau, daß die nichts unternehmen würde, weil sie nicht riskieren wollte, die Schulgelder zu verlieren.«
»Ja, das wußten sie«, sagte Amy und biß in ihr drittes Sandwich.
»Und als ich dann zum Tanzen ausging, haben sie mich mit diesem miesen Trick hereingelegt und mir ein Abführmittel in meinen Tee und meinen Fruchtsaft getan.« Ich strich über meinen Bauch in der
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