Geburtstag in Florenz
hatte ich doch recht: Er wollte sie nicht im Haus haben. Ich glaube nie, daß Celia was damit zu tun hatte. Sie liebte Jenny abgöttisch, das Kind war ihr Leben. Nein, Julian wollte sie nicht im Haus haben, und darum hat er ihr den einzigen Schlafplatz genommen. Kein Wunder, daß Jenny geweint hat! Ach, wenn sie’s dir doch nur erzählt hätte, Katy, dann hättest du sie mit zu uns bringen können.«
»Aber sie hat’s mir eben nicht gesagt. Jenny sagt einem ja nie irgendwas. Sie hockt bloß unbeweglich da, als ob sie für einen Botticelli Modell sitzen müßte, und wenn man sie aus ihrer Trance rausreißen will, dann fängt sie an zu heulen.«
Dem Maresciallo sank der Mut. Er mußte mit dem Mädchen sprechen, das stand fest, aber er machte sich keine Illusionen über seine Erfolgsaussichten bei einer Botticelli-Figur, die echte Tränen weinte. Allein, er mußte in den sauren Apfel beißen, auch wenn er viel lieber für den Rest seiner Tage in dieser gemütlichen Küche sitzen geblieben wäre. Mary, die ohnehin den Schulbus an der Tür abpassen wollte, brachte ihn nach unten.
»Sie haben gewiß alle Hände voll zu tun, wenn Sie bei drei Kindern noch als Journalistin tätig sind.«
»Ach, als Lizzy zur Welt kam, habe ich aufgehört, ganztags zu arbeiten. Und ich schreibe für Monatszeitschriften, da stehe ich nicht so unter Termindruck. Stellen Sie sich vor, beinahe hätten wir unserer kleinen Elizabeth statt Lizzy den Kosenamen Sissi verpaßt. Aber das hätte Sissi kränken können, und sie ist doch so ein lieber Mensch, selbst wenn sie ein bißchen spinnt.«
»Kränken? Hätte es ihr nicht eher geschmeichelt?«
»Ah, Sie kennen die Vorgeschichte nicht. Sissis Eltern haben sie nach der österreichischen Kaiserin getauft, die so berühmt war für ihre Schönheit. Unsere arme Sissi dagegen war von klein auf häßlich wie die Nacht. Ich habe Fotos gesehen. Die zeigt sie bereitwillig her und tut so, als hätten ihre Eltern sich auf ihre Kosten einen prächtigen Scherz erlaubt. Aber mir kann keiner erzählen, daß sie in jungen Jahren nicht doch darunter gelitten hat. Unsere herrische kleine Lizzy hingegen ist eine Schönheit, und da hätte es womöglich so ausgesehen, als wolle man nachträglich noch Salz in die Wunde streuen …. Ach, da kommt sie!«
Ein gelber Minibus, voll besetzt mit einer quirligen Kinderschar, kam die Straße entlang. Bevor der Bus hielt, sah Mary den Maresciallo forschend an und sagte: »Wenn ich das nicht fragen darf, dann brauchen Sie natürlich nicht zu antworten, aber halten Sie es für möglich, daß er sie umgebracht hat?«
»Ich habe keinerlei Beweise dafür.« Seine Augen konnte man hinter den dunklen Brillengläsern nicht erkennen. Seine Stimme war ausdruckslos.
Sie verstand ihn trotzdem.
»Chopin!« Sissi gelang es, den Namen mit soviel Verachtung auszuspucken, daß sich jeder weitere Kommentar erübrigte. Trotzdem bohrte sie Guarnaccia noch den Finger in die Seite und schmetterte ein triumphales: »Bach!« hinterdrein. Damit war die Sache geklärt, und sie stapfte dem Maresciallo und Fara so eilig voraus, daß die beiden nur einen flüchtigen Blick auf das Mädchen in dem Zimmer zu ihrer Linken erhaschten. Sie saß am Klavier und kehrte ihnen den Rücken zu, und dieser Rücken war so unbeweglich wie der einer Statue. Das dichte, blondgewellte Haar reichte ihr bis zur Taille.
»Biegsamer, die Finger!« donnerte Sissi über die Schulter zurück, während sie die beiden Männer in das Arbeitszimmer mit den vielen Büchern scheuchte, in dem sie bei Guarnaccias erstem Besuch mehrmals eingenickt war. Sie lächelte dem Maresciallo zu. Die Klaviermusik war immer noch zu hören. Manchmal geriet das Spiel ins Stocken, wurde aber stets mit erneuter Entschlossenheit wieder aufgenommen.
»Nehmen Sie Platz!« befahl Sissi. »Ich warne Sie am besten gleich: Das Mädel redet nicht viel. Vielleicht spricht sie überhaupt nicht mit Ihnen, also wundern Sie sich nicht, wenn es schiefgeht.«
Sie ließen sich in bequemen Lehnsesseln nieder. Durch das Bogenfenster blickten sie auf die Zypressenallee, deren Wipfel wie rasend hin und her schlugen. Es war sehr warm in dem kleinen Zimmer, das von einem Ofen in der Ecke beheizt wurde. Auf dem flachen Ofendeckel stand ein glasiertes Schälchen mit einem Apfel drin. Sissi zeigte dem Maresciallo ihre Eichhörnchenzähne, als sie seinen verdutzten Blick auffing.
»Das ist mein täglicher Apfel. Morgens stelle ich ihn auf den Ofen, wo er von der
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