Gedankenlesen durch Schneckenstreicheln
die von über 25.000 anderen Neuronen Signale empfangen können.
Wie das gesamte Gehirn besteht auch die Großhirnrinde aus Neuronen. Diese sind in sechs Schichten angeordnet. In der Regel ist die Rinde rund zwei Millimeter stark, in einem Bereich aber, der für das Sehen zuständig ist, umfasst sie ganze sechs Millimeter. Der Neurologe Korbinian Brodmann stellte fest, dass die Großhirnrinde nicht nur in der Stärke variiert, sondern auch ihre sechs Schichten in unterschiedlicher Dicke und Vernetztheit auftreten. Es gibt Bereiche, in denen zum Beispiel die Schicht 3 fast fehlt, während in einem anderen Bereich die Neuronen der Schicht 3 besonders stark vernetzt sind. Brodmann machte schließlich 52 verschiedene Areale auf der Großhirnrinde aus.
Er konnte diesen Arealen leider noch keine Funktion zuweisen. Erst später zeigten andere Neurowissenschaftler, dass jedes einzelne Areal unterschiedliche Aufgaben übernimmt. In der rechten Darstellung zum Beispiel sind das Areal 17 für das Sehen und die Areale 1, 2 und 3 für das Tasten zuständig. Heute hat man diese Bereiche mit viel feineren Methoden noch weiter unterteilt. Das Problem, das wir nun haben, besteht darin, zu erkennen, wo ein Gebiet aufhört und ein anderes beginnt. Das ist teilweise sehr subjektiv. Allein beim primären und sekundären Seh-Areal unterscheidet man mittlerweile rund 30 Areale.
Die Großhirnrinde in der Mitte des Gehirns
Die Großhirnrinde von außen. Der linke Bereich ist unter der Stirn, der rechte Bereich ist hinten. Das Spiegelneuronensystem befindet sich bei 44.
Spannend wurde es, als man ein neues System entdeckte. Man glaubte, alle Systeme schon erkannt zu haben aufgrund der unterschiedlichen Areale. Es gibt etwa das motorische, das Seh-, das Hör-, das limbische und das Tastsystem. Das Spiegelneuronensystem war daher bei seiner Entdeckung ein ziemlicher Aufreger und ist es immer noch. Spiegelneuronen sehen zwar genauso aus wie die anderen Neuronen. Allerdings haben sie eine ganz bestimmte Aufgabe. Wie sich die Neuronen im Sehsystem nur mit dem Sehen beschäftigen, ermöglichen sie es, uns in andere hineinzuversetzen und mitzufühlen. Verantwortlich sind sie aber auch für das Gegenteil. Daran, dass wir Spinnen nicht süß finden, sind zum Beispiel ebenfalls die Spiegelneuronen schuld. Dieses System befindet sich im Bereich der Motorik.
Spiegelneuronen spiegeln in unserem Gehirn also das Verhalten anderer. Wenn Ihr Gegenüber den Arm hebt und sich hinter dem Ohr kratzt, und Sie beobachten das, dann machen Sie mit Ihren Spiegelneuronen gedanklich diese Bewegung auch. Es muss aber eine für Sie sinnvolle Bewegung sein. Wenn Ihr Gegenüber sich die Hoden einrichtet, und Sie sind eine Frau, dann können Sie gelassen bleiben. Zumindest vom Standpunkt der Spiegelneuronen her.
Nicht nur wir Menschen, auch viele Tiere besitzen ein Spiegelneuronensystem. Hunde beispielsweise, die beliebtesten Haustiere der Menschen, denen manche von uns ohne Weiteres die Gedankenleserei unterjubeln, wie wir gesehen haben. Hunde sind zwar nicht besonders schlau, und man hat es mit äußerst durchschaubaren, käuflichen und charakterlosen Kreaturen zu tun. Wer ihnen Futter gibt, den achten und lieben sie, und wenn der Futtergeber wechselt, dann geben die meisten Tiere ihre anfängliche Loyalität auf.
Aber Hunde besitzen ein Spiegelneuronensystem, und das kann sehr praktisch für ihre Herrchen sein, wenn sie einmal am Heimweg betrunken in den Straßengraben stürzen oder im Ohrensessel mit der Zigarette in der Hand einschlafen. Dann sorgt der Hund möglicherweise dafür, dass sie ihren Platz im Einwohnermelderegister behalten. Wahrscheinlich sind Hunde aber nicht wegen der Spiegelneuronen so hoch gestiegen in der Beliebtheitsskala der Menschen, sondern weil man sie nicht nur gut streicheln, sondern bei Bedarf auch gut essen kann. Das passiert heute nicht mehr so häufig bei uns, aber aus der Frühzeit der Mensch-Hund-Beziehung wird gerne verschwiegen, dass der Hund nicht nur ein guter Wächter und Jagdgefährte war, sondern auch eine gern genommene Nahrungsergänzung. Wobei Hunde erst relativ spät auf den Speisezettel der Menschen gelangten.
Beim Kick-off der Menschheit vor circa zweieinhalb Millionen Jahren war an gegarten Hund an Bärlauchschaumhäubchen mit Weinbegleitung noch nicht zu denken, da gab es jeden Tag kalt. Was hat man zu Beginn der Menschheitsgeschichte gegessen? Was war eigentlich das Jüngste Gericht der Menschheit, wenn man so
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