Gedankenlesen durch Schneckenstreicheln
Menschen gegeben, die alle Tassen im Schrank hatten. Nichtsdestoweniger saßen einige Kleriker und Juristen über die Käfer zu Gericht, als ob es sich um vollwertige Rechtspersonen handelte.
Die Maikäfer von Lausanne wurden übrigens ganz offiziell zur Verhandlung vorgeladen, indem man ihnen an den Orten ihres Wirkens Mahnschreiben und Vorladungsbriefe verlas. Es ging also ein vom Gericht Befugter auf einen Acker und las den Käfern vor, was ihnen zur Last gelegt wurde. Und zwar in der Regel erst, nachdem erwachsene Menschen eine Zeit lang über die Rechtmäßigkeit der Klage nach eingehender Beweisaufnahme befunden hatten. „Dieser ersten Gerichtsphase folgte meist das mit einem zeitlichen Ultimatum verbundene Verbannungsurteil, das bei Nichtbefolgung – also im Normalfall – mitunter zur Malediktion und/oder rituellen Hinrichtung einiger Exemplare der verurteilten Insektenart, zu Bannfluch und der Besprengung der Felder mit Weihwasser führte. Den Tieren wurde freies Geleit angeboten, falls sie sich an die Richtlinien der Verbannung an einen vom Gericht bestimmten Ort (ins Meer, auf entlegene Inseln oder einen Freibezirk innerhalb der Gemeinde) binnen einer bestimmten Frist halten würden. Für schwangere Mäuseweibchen galten mitunter Sonderregelungen (sind eigentlich verlängerte Abzugsfristen), ein Verteidiger machte sogar die Minderjährigkeitsklausel für seine kurzlebigen Klienten (Käfer) geltend. Die komplizierten und grotesken Verhandlungen führten zur Verschleppung dieser Prozesse, deren Anlass (also Schädlingsbefall) im Verlauf der oft halb- oder ganzjährigen Verfahren aus natürlichen Gründen verschwand und dennoch als publikumswirksamer Erfolg des Gerichts verbucht werden konnte. Die Befürworter dieser Prozesse berufen sich daher regelmäßig auf erfolgreiche Präzedenzfälle.“ 4
Ein klassischer Fall von Synchronizität, wenn Sie sich an Seite 51 zurückerinnern. Es werden Ursachen und Wirkungen miteinander verknüpft, die nichts miteinander zu tun haben. Einer der heute populärsten Fälle von Synchronizität ist übrigens die homöopathische Erstverschlimmerung. Es wird behauptet, eine Erkrankung würde kurz schlimmer, weil sie sich im Kampf mit der homöopathischen Medizin ein letztes Mal kurz aufbäumt. Das ist aber Unfug. Homöopathie hat mit Medizin nichts zu tun. Wenn es zu einer Verschlimmerung kommt, dann deshalb, weil die Erkrankung homöopathisch behandelt wurde, also gar nicht. Die sogenannte Erstverschlimmerung ist also nicht die Folge der heilenden Wirkung der Arznei, sondern Folge der unterlassenen medizinischen Behandlung.
Zurück zu den Engerlingen. Natürlich war damals genauso wie heute bekannt, dass Maikäfer keine asozialen, berechnenden Hooligans sind, sondern instinktgetriebene Tiere. Aber man vermutete, ähnlich wie bei den damals gleichfalls üblichen Hexenprozessen, dass Teufel und Dämonen in die Schadinsekten eingefahren waren. Und damit waren sie auf einmal satisfaktionsfähig. Heute werden Maikäfer nicht mehr angeklagt, aber auf dem Gebiet der Teufelsaustreibung hat sich bei der katholischen Geistlichkeit leider nicht viel getan. Noch heute werden Kinder in der Kirche nicht nur deshalb getauft, weil man aus diesem Anlass ein nettes Familienfest arrangieren und den Nachwuchs kostenpflichtig der Verwandtschaft vorstellen kann, sondern auch um den Babys die Erbsünde auszutreiben (die haben sie sich ohne eigenes Zutun deshalb zugezogen, weil vor vielen Hundert Jahren ein Augustinus von Hippo in einem religiösen Gezänk der Bestimmer bleiben wollte und die Erbsündenlehre formuliert hat, an die manche Baby-Eltern heute noch immer glauben). Die Erzdiözese Wien hält sich, wie viele andere Bistümer, noch zum Zeitpunkt der Entstehung dieses Buches, also im Jahre 2012, einen eigenen Exorzisten. Der ist tatsächlich der Meinung, er könne nicht nur erkennen, wenn der Teufel in einen Menschen eingefahren ist, sondern ihm danach auch noch befehlen, diesen wieder zu verlassen. Und darunter zu leiden haben damals wie heute Unschuldige. Manchmal reichen auch über 500 Jahre nicht aus, um kompletten Unsinn aus der Welt verschwinden zu lassen.
Besonders schwer wog für die Maikäfer von Lausanne die Beschuldigung, dass sie angeblich nicht auf der Arche Noah dabei waren. Woher man das wusste, geht aus den Akten nicht hervor, und die Quelle selbst ist nicht besonders zuverlässig. Denn laut dem ersten Buch Mose, der Genesis, stand auf der Passagierliste der
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