Gedankenlesen durch Schneckenstreicheln
gleichgeschlechtlich als auch zwischengeschlechtlich vermehren kann und normalerweise im Erdboden lebt. Ein krankheitserregender Parasit für diesen Wurm ist das Bakterium Serratia marcescens . Auf den Befall durch den Parasiten reagiert er mit einer erstaunlich effizienten Taktik. Er stellt auf Sex um. Wenn man die Würmer und die Bakterien dem natürlichen evolutionären Wettstreit überlässt, dominiert auf Dauer die sexuelle Fortpflanzung beim Fadenwurm, weil er sich dadurch an die sich verändernden Tricks des Bakteriums schnell anpassen kann. Wenn der Befall nachlässt, lässt auch die sexuelle Aktivität wieder nach. Stimmt das Ergebnis? Machen wir die Gegenprobe. Wenn man durch genetische Manipulation beim Fadenwurm nur mehr gleichgeschlechtliche Vermehrung erlaubt, stirbt er unter der Einwirkung der schädigenden Bakterien rasch aus.
Normalerweise ist geschlechtliche Liebe viel zu aufwendig, um vom evolutionären Standpunkt aus sinnvoll zu sein. Es scheint so, dass wir die Vergnügungen des Sex und die Existenz von Männchen Parasiten verdanken. Denn durch sexuelle Vermischung der Gene werden die Widerstandskraft und die Fitness des Wirts gegenüber Parasiten enorm gestärkt. Ob es für Frauen, die das Gefühl haben, von ihren Männern ausgenutzt zu werden, ein Trost ist zu wissen, dass es da einen Zusammenhang gibt zwischen Patriarch und Parasit, muss allerdings dahingestellt bleiben.
Wenn eine solche Anpassung nicht gelingt, dann kann es mit einer Spezies auch bald vorbei sein. Beim Menschen war es angeblich vor gut 100.000 Jahren fast so weit. Game over hätte es beinahe geheißen, maximal 10.000 Menschen lebten damals noch. Wer war der Massenmörder? Der Mensch selber, aber unabsichtlich und indirekt. Zwei veränderte Gene für das Immunsystem haben der Menschheit letztlich das Überleben gesichert. Diese beiden Gene haben sich nach der Verzweigung der Entwicklungslinie von Schimpansen und Menschen besonders schnell entwickelt. Man nennt das einen genetischen Hotspot der Humanevolution, und an diesen Hotspots findet in der Regel Bemerkenswertes statt. Im vorliegenden Fall haben sich zwei Gene, die beim Schimpansen das Andocken von Bakterien erleichtern, um von ihnen ausgelöste Entzündungen möglichst schnell zu bekämpfen, beim Menschen so entwickelt, dass sie die Immunantwort abschwächen. Damit werden entzündliche Immunreaktionen gedämpft, da diese manchmal den Krankheitserregern eher nützen würden als schaden. 13 Wie kann man sich das vorstellen? Ein bisschen so, wie wenn man mit einem Messer in den Oberschenkel gestochen wird. Solange das Messer im Bein steckt und die Wunde verschließt, ist das zwar unangenehm und schmerzhaft, aber erst wenn man die Tatwaffe aus dem Oberschenkel herauszieht, wird die Blutung lebensgefährlich. Deshalb hat der Mensch für manche Erreger die Taktik entwickelt, die Immunantwort zu dämpfen, um so nicht unabsichtlich den Schaden zu vergrößern. An sich schlau gedacht von der DNA. Da werden vielleicht auch die kleinen Krankheitserreger im ersten Moment anerkennend geklatscht haben. Wie sie dann aber mit dem Klatschen fertig waren, haben sie die Alarmanlage genauer inspiziert und ihren Wirkmechanismus verstanden. Mit bösen Folgen für die Menschen. Wenn nun nämlich ein Erreger kam, der diesen Trick durchschaut hatte, dann konnte es eng werden. Das ist nach Meinung von Molekularmediziner Ajit Varki 14 und seinem Team von der University of California in San Diego vor gut 100.000 Jahren passiert. Schädliche Bakterien haben angedockt, als ob sie alleine nichts Böses anstellen könnten, haben das Immunsystem getäuscht, seine Wirksamkeit gedämpft und sich so ungehindert ausgebreitet. Die Menschen haben daraufhin aber nicht im Gegenzug ebenfalls anerkennend geklatscht, sondern sind gestorben. Vor allem für viele Neugeborene war die Situation tödlich, und wären die Gene daraufhin nicht mutiert, gäbe es heute wahrscheinlich keine Menschen. Das heißt kein Weihnachten, kein Oktoberfest, keinen Opernball, kein urbi et orbi, keinen Kölner Karneval. Trotzdem war es gut, dass die Gene mutiert sind.
Ice, Ice, Baby
Eigentlich war es ja mit dem Leben auf der Erde schon viel früher fast einmal aus. Zu über 80 Prozent der Erdgeschichte war der Planet völlig eisfrei. Aber vor 600 bis 750 Millionen Jahren gab es eine Zeit, in der die Erde komplett mit Schnee und Eis bedeckt war. Optisch nicht unbedingt sehr abwechslungsreich, aber dieses Stadium der sogenannten
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