Gedankenlesen durch Schneckenstreicheln
deshalb ist auch Verlieben so angenehm für uns. Wenn sich ein Mann in eine Frau verliebt, dann reagiert sein Hypothalamus, ein Teil des Zwischenhirns, sinngemäß mit einem begeisterten „Wow!!!“. Und gibt der Hypophyse aka Hirnanhangdrüse den Befehl: „Drogen ausschütten, und zwar die feinen und im großen Stil!“ Die beiden hängen sich quasi ein und rufen: „Ausziehen! Ausziehen!“ Wenn die Liebe erwidert wird, dann sind die beiden Verliebten für circa drei Monate für ihre Umwelt aus der Wertung genommen. Danach lässt die Wirkung der Drogen allmählich nach, weil sich der Hypothalamus sagt: „Wenn es bis jetzt mit der Fortpflanzung nicht funktioniert hat, dann sollen die beiden selber schauen, wie sie es schaffen. Ich mag nicht mehr.“ Wieder sinngemäß natürlich. Viele Beziehungen sind danach auch zu Ende. Wenn die Drogen nicht mehr wirken, sieht man seinen Partner beziehungsweise seine Partnerin das erste Mal so, wie er oder sie wirklich ist. Und das wollen viele dann gar nicht so genau wissen. Wenn die Beziehung trotzdem weitergeht, entscheiden laut Statistik im nächsten halben Jahr Kleinigkeiten über Bestand oder Scheitern. Wer wo wie seine Socken liegen lässt, wer wie die Klopapierrolle einhängt oder wer auf welche Weise die Zahnpasta aus der Tube drückt. Derartiger „Kleinscheiß“ ist ein Hauptkriterium, ob aus den sich gegenüberstehenden Genpools vielleicht doch noch Nachwuchs entsteht oder nicht. Wer seinen Partner oder seine Partnerin nach drei Monaten noch liebt, sollte also sicherheitshalber zumindest bei der Zahnpasta auf Dosierspender umsteigen. Der nächste neuralgische Punkt einer Beziehung kommt auf das Paar zu, wenn die Kinder aus dem Haus sind, und dann im hohen Alter, wenn man sein Leben lang unzufrieden war und nichts mehr zu verlieren hat. Rein statistisch natürlich. Jeder Fall, den Sie kennen, ist selbstverständlich ein Einzelschicksal.
Wenn Sex, Partnerschaft und Brutpflege so anstrengend und unwägbar sind, wenn Stress, Umweltgifte und Konkurrenz- und Reproduktionsdruck das Leben so stark verkürzen können, warum leben wir dann nicht alle wie Mönche und Nonnen? Warum gibt es überhaupt Sex?
Sie werden staunen. Auch wenn Sie manchmal tags darauf nicht mehr wissen, warum Sie am Vorabend mit der Person, neben der Sie gerade aufwachen, Sex gehabt haben: Warum es Sex überhaupt gibt, das ist bekannt. Weil es beim Überleben hilft, und nicht nur beim Weiterleben.
Sex in der geschlechtlichen Fortpflanzung zwischen Männchen und Weibchen ist ziemlich aufwendig und kostet viel Energie. Pflanzen, Tiere und insbesondere Menschen drücken ihre sexuelle Anziehung zum anderen Geschlecht durch unterschiedliche Formen und Aspekte aus: Zärtlichkeit, Überredung, Protzerei, Angeberei, Einschmeichelei, Verführung, aber auch Gewalt und Unterwerfung. Warum aber treiben wir in der geschlechtlichen Liebe einen derart großen Aufwand zur Erzeugung von Nachkommenschaft? Was bringt das ganze Getue und Brimborium um Sex, wo sich doch Lebewesen mit wesentlich weniger Anstrengung und ungeschlechtlich, sogar ohne Männchen fortpflanzen können? Sexuelle Vermehrung bringt einen eminenten biologischen Vorteil in der Evolution und ist deshalb in der Pflanzen- und Tierwelt weit verbreitet. Die weithin akzeptierte Erklärung ist, dass bei der sexuellen Fortpflanzung das Erbmaterial von zwei Eltern vermischt wird. Dadurch können biologische Arten schnell und effektiv auf veränderte, neue, stressige und nachteilige Umwelt- und Lebensbedingungen reagieren.
Eine dieser rasch wechselnden Umweltbedingungen ist der wenig beachtete, aber eigentlich immerwährende Kampf von Lebewesen gegen sich schnell verändernde Parasiten. Praktisch jedes Lebewesen wird von Parasiten geplagt, angefangen von Viren und Bakterien bis zu parasitären Pflanzen und Tieren. Etwa 80 Prozent aller Lebewesen leben auf diese Weise parasitär und beziehen Nahrung, aber auch andere Ressourcen wie Körpersubstanz, Sauerstoff oder Wärmeenergie, von sogenannten Wirten. Der Wirt wehrt sich dagegen auf mannigfache Weise. Am wirkungsvollsten kann er gegenüber Parasiten bestehen, wenn er ihren wechselnden Tricks möglichst schnell mit einem Wechsel seines eigenen Erbguts begegnet. Eine solche Anpassung macht den Wirt fitter gegenüber den Parasiten. Kann man das auch überprüfen oder klingt das nur gut? Man kann. Am Fadenwurm Caenorhabditis elegans . Das ist ein circa einen Millimeter langer Fadenwurm, der sich sowohl
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