Gedankenmörder (German Edition)
sprach er Ira auf Band, dass es mit dem gemeinsamen Kinobesuch am Abend nichts werden würde, weil er einen neuen Fall auf den Tisch bekommen hatte. Die Einzelheiten ersparte er seiner Frau. Sie würde sie noch früh genug erfahren.
Bei jedem neuen Fall nahm er sich vor, Ira aus den grausigen Details seiner Arbeit herauszuhalten. Aber ihre gezielte Art der Nachfrage ließ ihn bislang immer kapitulieren. Und so kam es vor, dass sie manchmal abends ausgingen und bei Kerzenlicht und Antipasti gemeinsam das Motiv eines schweigsamen Mörders zu ergründen suchten. Seinen Skrupeln, mal wieder viel zu viel preisgegeben zu haben, hielt sie dann immer lachend dagegen: «Die Bremer Polizei hat den interdisziplinären Ansatz dringend nötig. Und außerdem fehlt euch der weibliche Blick auf die Fälle.»
Gedankenverloren fuhr er zurück ins Präsidium. In seinem halbfertig eingerichteten Büro notierte er sich, wen sie am nächsten Tag noch befragen oder vorladen mussten.
Kurz vor der verabredeten Zeit trafen Petersen und Wessel wieder im Präsidium ein. Diesmal übernahm Wessel die Berichterstattung. Viel hatte die Krankenschwester nicht sagen können. Der Freund des Unfallopfers habe sehr mitgenommen gewirkt und während seiner Besuche auf der Intensivstation die Hand seiner Freundin nicht losgelassen.
Während andere Angehörige oder Partner die Intensivschwestern ständig mit Fragen nach Heilungsmöglichkeiten bombardierten, habe der Mann geschwiegen.
«Die Schwester hatte den Eindruck, dass er wusste, dass seine Freundin nie wieder aus dem Koma erwachen würde», sagte Wessel. Sie hatte ihn «für den Fall der Fälle» um seine Handynummer gebeten und diese auf einen Zettel notiert.
«Nun macht sie sich natürlich große Vorwürfe, dass sie da einen Dreher reingebaut hat», schloss Wessel seine Ausführungen.
Die drei Kollegen verabredeten, sich am nächsten Morgen bereits um halb acht wieder in Steenhoffs Büro zu treffen. Petersen schien noch etwas zu beschäftigen.
«Gibt es noch etwas?», fragte Steenhoff die junge Frau.
«Ja, ach, ich weiß nicht. Vielleicht ist es auch ausgemachter Blödsinn.»
Zum ersten Mal, seit er Petersen begegnet war, wirkte die Neue verunsichert.
«Nun schießen Sie schon los», ermunterte Steenhoff seine Kollegin.
«Bei der Krankenschwester hätte man Aufnahmen für Einrichtungskataloge machen können. Alles, wirklich alles war an seinem Platz. Da gab es keine Rummelecken, Zeitschriftenstapel oder Staubkörner auf den Regalen. Ihre Wohnung wirkte perfekt. Fast zwanghaft aufgeräumt. Genauso exakt hat sie auch den Freund des Opfers beschrieben.»
Fragend sah Steenhoff die Frau an.
«Und?»
«Ich kann mir nicht vorstellen, dass so ein Mensch eine wichtige Handynummer falsch aufschreibt.»
Nachdenklich sah Steenhoff Petersen an.
«Was wollen Sie damit sagen», fragte er und ahnte bereits die Antwort.
Petersen holte tief Luft.
«Ich glaube, dass es nicht ihr Freund war, der an ihrem Bett gesessen hat.»
6
Draußen war es bereits dunkel. Die meisten von Steenhoffs Kollegen waren schon lange nach Hause gefahren. Drei verloren wirkende Laternen warfen ein mattes Licht auf den Parkplatz vor dem Präsidium.
Gegen 20 Uhr betrat der Leiter der Tatortgruppe unvermittelt Steenhoffs Büro. Gerhard Marlowski hatte es weder für nötig befunden, zuvor anzuklopfen, noch seinen Kollegen zu grüßen. Es waren diese kleinen Unarten, die den Mann für Steenhoff so schwer erträglich machten. Fachlich gehörte er dagegen zu den Besten in seiner Abteilung.
«Also, Frank, den Bericht bekommst du morgen Mittag von uns. Nur vorweg: An der Leiche gab es keine Fingerabdrücke. Auch nicht an dem Messer, das er zum Schnippeln an der Frau benutzt hat. Euer Täter trug vermutlich Handschuhe. Die Fenster haben wir noch mal alle kontrolliert. Da ist keiner durchgekommen. Die anderen Spurenträger müssen wir noch mit denen des Pflegepersonals, des Pathologen und seines Assistenten abgleichen. Das wird zwei, drei Tage dauern. Ach übrigens» – Marlowski machte eine kleine Pause – «er war nicht nur an der jungen Frau dran.»
Überrascht schaute Steenhoff ihn an.
«Was meinst du damit?»
«Na, wir haben uns natürlich auch die zwölf Kühlkammern angeschaut. Sechs waren leer. Drei waren mit Männern belegt, eine Kammer mit einem Kleinkind, und aus einer Kühlkammer hatte er unsere Tote herausgeholt. Offenbar war ihm das aber nicht genug. In der zwölften Kammer lag noch eine Frau, so
Weitere Kostenlose Bücher