Gedankenmörder (German Edition)
Ira auf Granit. Und eigentlich war ihm klar, dass sie sich in den beliebten Wohnvierteln höchstens ein Haus zur Miete leisten könnten.
Noch müde von der unterbrochenen Nacht machte er sich auf den Weg ins Präsidium. Kurz nachdem er sein Büro im Dachgeschoss aufgeschlossen hatte, klopfte es an der Tür, und Petersen kam herein. Die junge Frau trug Jeans, eine eng anliegende, rot gestreifte Bluse und einen dazu passenden Blazer. Außer einem Ring an der Hand trug sie keinen Schmuck und war auch nicht geschminkt. Dennoch war sie eine auffällige Erscheinung.
Da sie noch auf Wessel warten mussten, zeigte Steenhoff seiner neuen Kollegin ihren Schreibtisch und die leeren Fächer in den Schränken, die er für sie freigehalten hatte. Aufmerksam schaute sich Navideh Petersen in dem kleinen, von Dachschrägen unterteilten Raum um. Ihr Blick blieb an dem Bild von Emil Nolde hängen. Zielsicher steuerte sie auf den gerahmten Druck zu und nahm das Bild begeistert in die Hand. Der Sekundenkleber – durchfuhr es Steenhoff. Doch es war zu spät. Der unerwartete Widerstand und das Geräusch abgerissener Tapete ließen Petersen mitten in der Bewegung erstarren. Verdattert schaute sie auf die beschädigte Wand, an der eben noch das Bild gehangen hatte.
«Oh, Entschuldigung», stammelte sie verlegen.
«Das Bild hat – irgendwie an der Tapete geklebt. Ich weiß nicht, wie das passieren konnte. Ich wollte es mir nur genauer anschauen. Aber das bringe ich wieder in Ordnung.»
Steenhoff hätte am liebsten laut geflucht. Warum mussten manche Leute Bilder, die ihnen gefielen, gleich von der Wand nehmen, statt sie einfach anzuschauen? Einen Moment sehnte er sich nach seiner alten Bürogemeinschaft mit Wessel und Moormann zurück.
Petersen hatte das Bild gerade in eine Ecke des Zimmers gestellt, als Michael Wessel eintrat. Er zog eine Duftwolke «Hugo Boss» hinter sich her. Wessel war an diesem Morgen glattrasiert und trug ein blaues Jackett über einem weißen Hemd mit passender blau gestreifter Krawatte. Steenhoff konnte sich nicht erinnern, seinen Kollegen jemals zuvor so gut angezogen gesehen zu haben.
Wessels Blick fiel sofort auf die beschädigte Wand gegenüber der Tür.
«Mensch, Frank, was hast du denn mit deiner Tapete gemacht? Sieht ja scheußlich aus. Hatten sie bei dir im Büro nicht auch alles renoviert?»
Hoffnungsvoll wandte er sich an seine neue Kollegin: «Wenn Ihnen das hier zu eng oder zu ungemütlich ist, dann kommen Sie einfach mit in mein Büro. Das ist ein paar Quadratmeter größer, und ein Schreibtisch ist dort auch noch unbesetzt.»
Mit einer abschätzigen Geste zeigte Wessel auf das in schwermütigen Farben gehaltene Bild Emil Noldes, das noch auf dem Boden stand. «Außerdem hängen bei mir ein paar fröhlichere Bilder an der Wand – ein paar hochwertige Drucke aus den Anfängen der Comiczeit.»
«Danke für das Angebot. Aber ich mag die norddeutschen Maler», sagte Petersen bestimmt.
«Ich koche uns mal einen Kaffee», unterbrach Steenhoff die Abwerbeversuche seines Kollegen. «Bis zur Frührunde müssen wir uns noch über einige Dinge klarwerden. Außerdem gibt es Neuigkeiten.»
Nachdem er mit seinem Bericht geendet hatte, schwiegen die beiden anderen betroffen. Wessel fing sich als Erster wieder.
«Wir sollten von Tewes noch zwei, drei Leute zur Unterstützung fordern. Auch wenn die anderen im Augenblick keine Däumchen drehen, diese Sache ist für drei Leute zu groß. Wir müssen umfangreiche Befragungen im Krankenhaus durchführen.»
Steenhoff schüttelte den Kopf. «Ich glaube kaum, dass wir noch jemanden kriegen. Mach dir nicht zu viele Hoffnungen.»
Er schaute auf seine Uhr. Kurz vor neun.
«Wir müssen in die Besprechung. Ach ja. Wir erzählen noch nichts von Frau Petersens Theorie über den Freund der Toten. Das müssen wir erst noch weiter abklären.»
Wider Erwarten rannte Wessel bei seinem Kommissariatsleiter Bernd Tewes mit seiner Forderung nach mehr Unterstützung offene Türen ein. Grund war ein Anruf vom Weser-Kurier. Kurz nach acht hatte sich die Polizeiredakteurin Andrea Voss auf Tewes’ Handy gemeldet. Obwohl Tewes die Nummer erst seit vier Monaten besaß und sie nur für den internen Gebrauch benutzte, war sie auf irgendwelchen Kanälen mal wieder in dem Karteikasten der Journalistin gelandet. Freundlich entschuldigte sich die Redakteurin, schon so früh zu stören. Aber, wollte sie wissen, ob es denn stimme, was da aus dem Krankenhaus zu ihr gedrungen
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