Gedankenmörder (German Edition)
Familie und einer Sporttasche voll Kleidung haben wir nichts Persönliches finden können. Wir haben die Daten ihres Zuhälters an die Kollegen von der Sitte weitergegeben. Die sollen ihn auch mal unter die Lupe nehmen. Vermutlich hat er noch andere Frauen laufen.»
Steenhoff musste an Mona denken. Sie hatte bestritten, einen Zuhälter zu haben. Doch bei ihrem Gespräch in dem Findorffer Café war die Furcht vor dem gewalttätigen Mann zu spüren gewesen. Sie verabredeten, noch am selben Abend mit mehreren Beamten erneut in die Cuxhavener Straße zu fahren und die Prostituierten zu vernehmen. «Irgendjemand muss doch gesehen haben, wie Irina in der Nacht in das Auto des Täters gestiegen ist», sagte Steenhoff.
Petersen ging nach der Besprechung direkt in ihr Büro. Sie schaltete ihren Computer an und begann, ihren Bericht zu schreiben. Rüttger wollte noch einmal mit rausfahren, und Steenhoff hatte sich zu einer Besprechung mit Tewes zurückgezogen.
Petersens Blick fiel auf die Zeitanzeige an ihrem Computer: 19 Uhr. Wenn sie sich beeilte, musste sie Vanessa nicht wieder absagen. Sie hatte ihre Freundin, bis auf den Abend, an dem Steenhoff plötzlich hinter ihnen im Restaurant aufgestanden war, in den vergangenen Wochen nur spätabends gesehen. Bislang hatte Vanessa ihre «mörderischen Arbeitszeiten», wie sie es nannte, nur mit der ihr eigenen Ironie quittiert. Aber Petersen fragte sich, wie einige ihrer Kollegen, die auch Kinder hatten, ihre Familie angesichts der Arbeitsbelastung bei der Stange hielten.
Petersen konnte schnell und konzentriert arbeiten. Kurz nach 20 Uhr hatte sie ihren Bericht fertig, zog sich ihre Jacke im Hinauslaufen an und rannte im Laufschritt zu ihrem Rad. Eine Viertelstunde später als verabredet schloss sie die Tür zu ihrer Hochparterrewohnung in dem Altbremer Haus im Viertel auf. Noch im Flur kam ihr Vanessa entgegen.
«Sorry, dass ich etwas später komme», stieß Petersen noch atemlos vom Fahrradfahren hervor. «Aber ich sehne mich nach einem Schaumbad, Wein und Keksen mit dir.»
«Tschhh.»
Vanessa hielt einen Finger an ihren Mund und blinzelte ihr nervös zu. «Was …?»
«Navideh. Du hast Besuch», unterbrach sie Vanessa. «Dein Bruder hatte geschäftlich in Bremen zu tun und wollte dich spontan besuchen.» Navideh spürte, wie ihr die Angst den Rücken runterkroch.
«Wo ist er», flüsterte sie. Bevor ihre Freundin antworten konnte, tauchte Mahmud hinter Vanessa auf.
«Ich bin hier Schwester. Sicherlich freust du dich, deinen Bruder wiederzusehen?» Seine Stimme klang kalt.
«Ja, natürlich. Hat dir meine Mitbewohnerin schon einen Tee gekocht oder dir etwas zu trinken angeboten?»
«Ja, sie war ganz entzückend», antwortete Mahmud und starrte Navideh unverwandt an. Unruhig schaute Vanessa von dem ungebetenen Besucher auf ihre Freundin.
«Ich denke, ich lasse euch beide dann mal alleine. Ich muss noch einiges am Schreibtisch erledigen», sagte Vanessa und sah Navideh fragend an. Die antwortete ihr stumm mit den Augen.
Während Navideh ihre Jacke an der Garderobe aufhängte, fragte sie sich, ob Mahmud etwas ahnen oder wissen konnte.
‹Wir haben keine Fotos von uns an der Wand hängen, keine Bilder von eng umschlungenen Frauenkörpern, und wir haben zum Glück jede ein eigenes Bett in ihrem Zimmer stehen›, dachte Navideh erleichtert. Selbst den Anrufbeantworter hatten sie sachlich-neutral besprochen. Sie hatten keinen Fehler gemacht.
«Und wie geht es meiner kleinen Schwester?», fragte Mahmud. Navideh wusste nicht, was es war. Aber irgendetwas in seiner Stimme ließ sie auf der Hut sein.
«Gut», begann Navideh scheinbar munter. Während sie den Tisch für das Abendessen deckte, erzählte sie Mahmud von ihrer neuen Stelle und wie sehr die Arbeit sie einspanne. Sie ließ keine Pause für Nachfragen. Mahmud hatte sich in einen Sessel gesetzt und schien jeden ihrer Schritte zu beobachten. Als Navideh nichts mehr einfiel, wechselte sie das Thema.
«Und wie geht es Mama und dem Geschäft?»
Ein endloses Thema, auf das Mahmud normalerweise nur zu gerne einstieg. Doch diesmal war es anders.
«Ich bin nicht hier, um über unsere Mutter zu reden, sondern über dich», sagte Mahmud eisig. Navideh lächelte ihn an.
«Ja, natürlich. Gerne. Wir sehen uns ja auch nur selten.»
Nervös drehte sie ihre langen Haare zu einem Zopf und steckte sie mit einer Klammer am Kopf fest.
«Hübsch siehst du aus, Schwester. Wie immer.»
Abschätzig taxierte Mahmud
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