Gedankenmörder (German Edition)
‹Wenigstens etwas.›
Steenhoff war nur noch einige Meter von dem konzentriert arbeitenden Mann entfernt, als er ihn scharf ansprach.
«Darf ich fragen, was Sie hier machen?»
Der Mann wirbelte herum und sah ihn mit weit aufgerissenen Augen an.
«Eh, haben Sie mir einen Schrecken eingejagt. Ich dachte, ich wäre ganz allein hier.»
«Das dachte der Täter auch, der hier seine sadistischen Spiele mit dem Opfer getrieben hat», sagte Steenhoff und beobachtete die Reaktion des Mannes.
«Ja, echt widerlich, nicht wahr?» Der Mann sah voller Ekel auf die Stelle, auf der das Gras von den vielen Beamten niedergetrampelt war und in deren Mitte der flache Stein lag, den der Mörder als Unterlage für den Kopf des Opfers benutzt hatte.
«Ich soll den Tatort filmen. Ich komme von dem Privatsender ‹News-Spezial›». Er ging auf Steenhoff zu und gab ihm höflich die Hand. «Meine Redaktion will einen größeren Film über die ganze Sache drehen», sagte der Mann und wandte sich wieder seinem Stativ zu.
«Sie sind Reporter?» Steenhoff betrachtete ihn misstrauisch.
«Nein, nein. Nur der Kameramann. Ich bin aber auch noch nicht so lange dabei. Sagen Sie, könnten Sie mir einen Gefallen tun und mir die Kamera hochreichen, wenn ich auf die Eiche geklettert bin?»
Steenhoff seufzte innerlich.
«Okay. Aber beeilen Sie sich.»
Beim dritten Versuch saß der Kameramann endlich in der Astgabel. Steenhoff hatte schon befürchtet, dass der Mann ihn bitten würde, ihm auf den Baum zu helfen. Er wirkte sehr unsportlich.
«Von hier oben kann man den Tatort wirklich gut filmen. Nicht so eine Nullachtfuffzehn-Einstellung wie von da unten.» Der Mann strahlte begeistert.
«So, jetzt können Sie mir die Kamera geben.»
Steenhoff brauchte einen Moment, um die Kamera vom Stativ zu lösen. Als er die Kamera in der Hand hielt und auf den Baum zugehen wollte, streifte sein linker Fuß versehentlich das Gestell. Bevor er zugreifen konnte, fiel das Stativ um und hinterließ drei Löcher im Waldboden, deren imaginäre Linien miteinander ein Dreieck zu bilden schienen.
Steenhoff setzte die Kamera ab, ging in die Hocke und suchte den Boden vor dem Leichenfundort Zentimeter für Zentimeter ab. In drei Metern Abstand von dem flachen Stein wurde er fündig. Die drei Löcher im Waldboden waren noch schwach zu erkennen. Die Erkenntnis traf ihn wie ein Schlag: ‹Er hat sie nicht nur gequält und getötet, sondern sie dabei auch noch gefilmt.›
19
Steenhoff hatte bereits Gerhard Marlowski angerufen und ihn gebeten, sofort zum Tatort rauszukommen, als sich der Kameramann im Baum mit einem leisen Räuspern in Erinnerung brachte.
«Ich nehme an, Sie sind Polizeibeamter und kein Spaziergänger?»
«Ja, da liegen Sie richtig. Und jetzt kommen Sie schleunigst von Ihrem Hochsitz runter und machen, dass Sie verschwinden. Auch wenn Sie kein Flatterband sehen, der Tatort ist ab sofort wieder für die Öffentlichkeit gesperrt.»
Der Kameramann sah ihn erschrocken an.
«Aber ich kann nicht ohne Aufnahmen in die Redaktion zurückkommen. Dann bin ich sofort wieder draußen, wenn ich noch nicht mal so einen einfachen Auftrag erledigen kann.»
Der Mann wirkte ehrlich verzweifelt.
Steenhoff wollte dem Kameramann gerade einen scharfen Anpfiff verpassen, als er plötzlich seine Meinung änderte. Schließlich hatte der Mann der Polizei unbeabsichtigt einen wichtigen Schritt weitergeholfen. Zudem trat er so angenehm anders auf als die meisten Journalisten, die Steenhoff kannte. Deren selbstbewusstes Auftreten grenzte oft schon an Anmaßung und Rechthaberei.
Der verhinderte Wipfelstürmer dagegen würde an Tatorten schon den erstbesten Schutzpolizisten als Staatsmacht akzeptieren und seinen Anordnungen Folge leisten. Steenhoff griff sich die Kamera und reichte sie dem verdutzten Mann hoch.
«So, jetzt drehen Sie schnell Ihre Sequenz, und dann machen Sie, dass Sie wieder in Ihre Redaktion kommen.»
«Danke, das ist echt nett von Ihnen», sagte der Mann erleichtert. Nach wenigen Minuten nahm ihm Steenhoff die Kamera wieder ab und bedeutete ihm, den Rückweg durch die Büsche anzutreten, um keine weiteren Spuren zu zerstören.
Als Steenhoff endlich allein auf dem Stichweg war, fiel ihm auf, dass ihn der Kameramann gar nicht gefragt hatte, was er denn da so Sensationelles auf dem Waldboden entdeckt hatte. Er musste ungewollt schmunzeln. Andrea Voss und ihre Kollegen hätten ihn sofort nach allen Regeln der Kunst ausgefragt und sich niemals einfach
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