Gedankenmörder (German Edition)
einem Tanzkurs teilnahm, musste ich ein ganzes Lügengebilde aufbauen, damit er nicht dahinterkam. Angeblich verteidigte er meine Ehre oder die der Familie. Der Ehre schadete es aber nicht, wenn ich nach einem seiner Wutausbrüche mit einem blauen Auge in die Schule gehen musste.»
Mühsam versuchte sich Petersen etwas aufzurichten, um einen Schluck Wasser zu trinken. Steenhoff reichte ihr das Glas vom Nachtschrank.
«Wir belauerten uns ständig gegenseitig», fuhr Petersen mit ihren Erzählungen fort. «Er aus angeblicher Sorge um mein Ansehen in der persischen Gemeinde, ich aus Angst.»
Sie lächelte bitter. «Statt wie andere Mädchen meines Alters zu reiten, zum Ballett zu gehen oder Basketball zu spielen, begann ich mit Kampfsport. Mein größter Wunsch war, ihm nicht mehr unterlegen zu sein.»
«Bist du deswegen auch zur Polizei gegangen?», fragte Steenhoff. Petersen nickte. «Ich glaube schon. Zumindest war es der Grund, warum ich mich bei euch beworben habe.»
Steenhoff sah sie nachdenklich an. «Ohne deine Dienstwaffe wäre es vermutlich auch schlimm ausgegangen.»
«Ja», sagte Petersen ernst. «Er wollte mich töten.»
«Woher weißt du das so sicher?», wollte Steenhoff wissen.
«Seine Augen», sagte sie tonlos. «Ich habe es in seinen Augen gesehen.»
Eine plötzliche Unruhe erfasste sie. «Ihr ermittelt doch wegen versuchten Totschlags gegen ihn, oder?»
«Nein, Navideh. Kein Staatsanwalt würde da mitmachen. Das weißt du so gut wie ich. Die Kollegen ermitteln wegen gefährlicher Körperverletzung und versuchter Vergewaltigung.»
«Das gibt es doch nicht. Frank, er wollte mich umbringen!», rief Petersen fassungslos.
Steenhoff griff nach ihrer rechten Hand und hielt sie sanft umschlossen. «Navideh, dein Bruder hat dich nicht gewürgt und nicht mit einem Messer auf deinen Oberkörper eingestochen. Du kennst die Gesetze. Das ist nur eine gefährliche Körperverletzung, auch wenn du es als Opfer besser weißt.»
«Aber mit festem Wohnsitz und ohne Vorstrafe ist er innerhalb kürzester Zeit wieder auf freiem Fuß.»
Petersen unterdrückte nur mühsam ihre Panik.
«Wo ist er überhaupt? Er liegt doch nicht im selben Krankenhaus wie ich?»
«Nein. Er ist noch im Krankenhaus West. Dort wird er bewacht. Ein Richter hat Haftbefehl gegen ihn erlassen. Morgen wird Mahmud auf die Krankenstation in die Justizvollzugsanstalt verlegt.»
Ihre Augen füllten sich mit Tränen. «Er wird wiederkommen. Ich weiß es. Mahmud wird nicht eher Ruhe geben, bis er mich umgebracht hat.»
Steenhoff sah sie fest an. «Nein, Navideh. Er wird dir nie wieder etwas tun. Verlass dich auf mich.»
Petersen sah ihn zugleich zweifelnd aber auch voller Hoffnung an.
«Wie willst du das schaffen?»
«Das lass mal meine Sorge sein.»
Er ließ ihre Hand los und zog ihre Bettdecke hoch.
«So, und jetzt versuchst du zu schlafen. Ich setze mich da hinten in die Ecke und bleibe so lange, bis du weggedämmert bist. Morgen früh kommt dann Vanessa, und ich werde dich im Laufe des Nachmittags besuchen.»
Er stand auf, löschte das Licht und machte es sich in dem Besuchersessel am anderen Ende des Zimmers bequem. Steenhoff schloss die Augen und versuchte, seine Gedanken zu ordnen. Als er gerade selber einzuschlafen drohte, hörte er, wie Petersen leise sagte: «Danke, Frank.»
Es war schon kurz nach ein Uhr, als Steenhoff die Haustür aufschloss. Im Wohnzimmer brannte noch Licht. Jemand schrie, während pausenlos geschossen wurde. Als er um die Ecke schaute, sah er Ira auf der Couch liegen. Trotz des Tumults in dem Western schlief Ira tief und atmete ruhig. Steenhoff nahm ihr vorsichtig die Fernbedienung aus der Hand und schaltete den Fernseher aus. Sofort war Ira hellwach.
«Frank!» Sie reckte sich. «Endlich bist du da.» Ira rückte ans eine Ende des Sofas und klopfte auf den leeren Platz neben sich. «Komm, setz dich. Wie geht es deiner armen Kollegin?»
«Navideh wird ein paar Tage im Krankenhaus bleiben müssen. Aber sie hat Glück gehabt. Es hätte noch schlimmer kommen können.»
Steenhoff hatte Ira kurz benachrichtigt, als er hinter dem Notarztwagen zum Krankenhaus fuhr. Seine Frau war voller Mitgefühl für die junge Beamtin gewesen und hatte ihn darin bestärkt, noch ein wenig bei ihr zu bleiben.
Ausführlich berichtete Steenhoff Ira, was sich am Abend in der Wohnung der beiden Frauen zugetragen hatte. Als er von dem ausgeklügelten Kontrollsystem des Bruders und Petersens verzweifelten Ausbruchsversuchen
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