Gedankenmörder (German Edition)
Macht über Opfer und Ermittler gleichermaßen berauschte. Nie schien er einen Fehler zu machen. Auch nach einem halben Jahr intensiver Ermittlungsarbeit hatte die Sonderkommission außer zehn Tatverdächtigen, die sie jeweils nach kurzer Zeit wieder laufen lassen musste, nichts in der Hand.
Mit jedem Zeitungsbericht über die verzweifelten Ermittler war sein Gefühl der Überlegenheit gewachsen. Doch er hatte niemanden, mit dem er seinen Triumph teilen konnte. Noch nicht einmal seine Verfolger ahnten, welch genialer Kopf sich hinter den Morden versteckte.
Das war der Moment, in dem der Unbekannte anfing, kleine, indirekte Botschaften für die Soko an den Tatorten zurückzulassen. Doch statt sich in den Medien über die merkwürdigen Anwandlungen des gesuchten Täters auszulassen, ignorierten Steenhoff und seine Kollegen scheinbar alle Zeichen. Damit packten sie den Mann bei seiner schwächsten Stelle – seiner Eitelkeit. Schließlich wagte er sich immer weiter vor, selbstherrlich und von dem Gefühl überwältigt, seit Monaten vergeblich von zehn Männern gejagt zu werden. Es war ein winziges Detail, das ihn letztlich verraten hatte. Und erst im Nachhinein stellte die Soko fest, wie viele feingewebte Muster sie in seinem Verhalten übersehen hatte. Der Fall musste anschließend auf vielen Fachtagungen als Schulungsbeispiel für Kripobeamte herhalten.
‹Wo ist das Muster, das wir diesmal übersehen?›, dachte Steenhoff. Er wollte sich gerade einen zweiten Kaffee einschenken, als Andrea Voss anrief.
«Guten Morgen, Frank», eröffnete die Reporterin das Gespräch. «Moin», entgegnete Steenhoff knapp.
Ihm war ihre jüngste Auseinandersetzung noch lebhaft in Erinnerung. Auch ihre öffentlichen Vorwürfe in der Zeitung.
«Ich weiß, dass du nicht gut auf mich zu sprechen bist. Aber ich habe gehört, dass deine Kollegin nach einer heftigen Auseinandersetzung seit gestern im Krankenhaus liegt.»
Steenhoff hätte am liebsten laut geflucht. Doch stattdessen schwieg er. «Bist du noch dran?», fragte Andrea Voss irritiert, als Steenhoff weiter stumm blieb.
«Ja.»
«Ja, das war deine Kollegin, oder ja, du kennst den Vorfall?», fragte Andrea Voss provozierend.
«Wenn ich den finde, der dir das gesteckt hat, fliegt er aus dem Team», antwortete Steenhoff wütend.
«Hör zu: Bevor du jetzt unnötig irgendwelche Kollegen verdächtigst, sage ich dir, woher ich es habe. Der neue Volontär aus der Sportredaktion wohnt in derselben Straße wie deine Kollegin. Und er findet sie wunderschön. Heute Morgen stand er hochbesorgt bei mir auf der Matte, um Näheres über das Schicksal seiner Angebeteten zu erfahren.»
«Okay, Andrea. Wir können einen Deal machen. Ich erzähle dir die Geschichte, und du versprichst mir, keine lausige Zeile darüber zu schreiben.»
«Hm.» Andrea Voss schien nicht begeistert.
«Du vergisst, dass ich schon einiges weiß. Auch, dass diese Frau Petersen sich wohl alles andere als nur für Männer interessiert. Laut einem Nachbarn, den ich angerufen habe, soll wohl ein verschmähter Liebhaber auf sie eingedroschen haben.»
«Das ist Quatsch», entfuhr es Steenhoff. «Andrea, die Frau hat Furchtbares durchgemacht. Du würdest ihr den Rest geben, wenn morgen auch noch ein Artikel darüber in der Zeitung stünde.»
«Wenn ich als Journalistin versuche, bloß nie jemanden zu verletzen, kann ich meinen Job an den Nagel hängen», erwiderte die Reporterin.
Steenhoff seufzte vernehmlich. «Okay. Dann bitte ich dich diesmal ausdrücklich: Lass diese eine Meldung weg. Sag deinem Volontär, dass Frau Petersen morgen wieder aus dem Krankenhaus entlassen wird und sich anschließend ein paar Tage bei Freunden erholen wird. Es sei nichts Großes passiert. Die Wahrheit ist eine andere, aber die wirst nur du erfahren, wenn du mir versprichst, nichts zu schreiben.»
Nach einem Moment, der Steenhoff unendlich lang vorkam, willigte Andrea Voss schließlich widerstrebend ein.
Nachdem Steenhoff mit seinen Schilderungen geendet hatte, fluchte Andrea Voss leise. «Wenn diese Geschichte bekannt wird, und ich habe sie gegenüber der Redaktion runtergespielt, dann ist mein Ruf bei der Zeitung dahin. Ich hoffe, du weißt, was du da von mir verlangst.»
Sie schwieg einen Moment. «Aber du kannst dich auf mich verlassen. Ich werde nichts schreiben. Ach, und ich hoffe sehr, dass es deiner Kollegin bald besser geht.»
«Danke, Andrea. Wenn sie wieder fit ist und wir den Fall endlich gelöst haben, dann mache
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