Gedenke deiner Taten
Seine Assistentin Jane war auch hochmotiviert. Zum ersten Mal in diesem Jahr hatten sie ein Haus an der Hand, das nicht aus reiner Not verkauft werden musste. Sean deutete es als Zeichen; der Markt erholte sich langsam. Er konnte das nicht rational begründen, immerhin hatte er noch jede Menge Zwangsversteigerungen abzuarbeiten. Trotzdem schienen die Zeichen auf Neuanfang zu stehen.
Aus vier Uhr wurde fünf Uhr. Ein Pärchen kam herein. An den Schuhen und der Handtasche erkannte Sean, dass es Schaulustige waren. Nie im Leben hatten diese Leute genug Geld für so ein Haus. Sean stand am Wohnzimmerfenster und sah, wie manche Autofahrer beim Anblick der Schilder neugierig den Fuß vom Gaspedal nahmen. Aber niemand hielt an.
Um kurz vor sechs saß Sean auf dem Sofa und starrte in die gepflegte Poollandschaft hinaus. Er machte sich nicht einmal mehr die Mühe, an der Tür zu warten.
»Falls Sie mich nicht mehr brauchen«, sagte Jane um halb sieben, »gehe ich jetzt.«
Jane war etwa zehn Jahre jünger als Sean. Normalerweise sprühte sie nur so vor Energie und war kaum kleinzukriegen, aber nun wirkte sogar sie müde. Sie war zu Boomzeiten ins Geschäft eingestiegen und hatte noch keine Tiefs erlebt. Das vergangene Jahr war wirklich schlecht gelaufen. Sean war enttäuscht, weil die Besichtigung gefloppt war, Jane hingegen war am Boden zerstört.
»Das ist erst der erste Termin«, sagte er und versuchte es mit einem aufmunternden Lächeln. »Lassen Sie sich nicht entmutigen.«
»Nein«, sagte Jane, winkte ab und setzte eine gezwungen fröhliche Miene auf, »auf keinen Fall.«
Sie war niedlich, eine nette junge Frau mit einem Mann und zwei kleinen Kindern. Sie konnte gut mit Klienten umgehen, aber sie arbeitete nur in Teilzeit. Am liebsten war sie zu Hause, um sich um die Kleinen zu kümmern, was er gut fand. Die wenigsten Frauen schienen heutzutage darauf Lust zu haben.
»Sie werden sehen«, sagte sie und verstaute ihren Kaffeebecher in der Handtasche. »Nächste Woche rennen sie uns die Türen ein.«
»Bestimmt«, sagte er.
Sie ging zur Haustür und drehte sich noch einmal um. Sie hatte wilde rote Locken und viele Sommersprossen im Gesicht. Die Leute mochten sie sofort, Männer wie Frauen. Für einen Job im Verkauf war es wichtig, eine Verbindung zu den Interessenten aufbauen zu können. War man zu attraktiv, wurde man vom gleichen Geschlecht gemieden und vom anderen angebaggert. Jane hielt das Gleichgewicht, sie war attraktiv und strahlte zudem eine gewisse Seriosität aus. Sie wirkte wie die nette Mom von nebenan.
»Alles in Ordnung?«, fragte sie.
»Ja«, antwortete er, »alles prima. Das Haus sieht toll aus, der Preis stimmt. Nächste Woche wird mehr los sein.«
Er stand auf, um Jane an die Tür zu begleiten.
»Gute Reise«, sagte sie, »und versuchen Sie, mal abzuschalten. Ich rufe Sie sofort an, falls einer anbeißt.«
Und weg war sie. Sean schaute zu, wie sie in ihren neuen BMW stieg und davonfuhr. Ihr Mann verdiente viel, hatte ir gendetwas mit Finanzen zu tun. Immerhin, Jane musste sich ums Geld keine Gedanken machen. Sean war beruhigt.
Als sie außer Sichtweite war, konnte er sich endlich entspannen. Eigentlich war er schon zu lange dabei, um sich durch eine misslungene Besichtigung entmutigen zu lassen, aber heute war er enttäuscht. Er trug die Tabletts mit den Schnittchen und den Wasserspender ins Auto. Er rief den Verkäufer an und berichtete ihm, dass es nur schleppend anlaufe und sich heute noch kein Interessent gefunden habe. Ab Montag würden die Anzeigen erscheinen, nächste Woche werde es besser laufen. Aber irgendwie glaubte Sean selbst nicht daran.
Nach dem Telefonat setzte die Erschöpfung ein. Er hatte Kate und Chelsea umsonst allein losgeschickt. Auch wenn er ein schlechtes Bauchgefühl gehabt hatte, eine erfolgreiche Besichtigung hätte das aufgewogen. Da es jedoch schlecht gelaufen war, fühlte er sich, als hätte er seine Zeit vergeudet und Kate im Stich gelassen. Er wollte mit ihr sprechen, aber seine Anrufe landeten auf der Mailbox. Entweder war ihr Akku leer, oder sie hatte keinen Empfang. Normalerweise war sie unterwegs immer erreichbar. Sean wurde unruhig.
Als er Brendan abholte, sah dieser weiß wie die Wand aus. Sein Knöchel war noch stärker angeschwollen und schmerzte schlimmer als zuvor.
»Was ist los, Kumpel«, sagte Sean, »hast du dich nicht geschont?«
»Doch«, antwortete Brendan, »es tut aber trotzdem weh.«
Als Sean vom Haus seiner Mutter losfuhr, hätte er
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