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Gedenke deiner Taten

Gedenke deiner Taten

Titel: Gedenke deiner Taten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Unger
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sich am liebsten gleich auf den Weg gemacht. Brendan konnte sich genauso gut während der Fahrt und auf der Insel ausruhen. Aber Sean war zuvor schon zwei Mal am Steuer eingeschlafen. Beim ersten Mal hatte er die Leitplanke berührt und konnte problemlos bremsen. Beim zweiten Mal war er um ein Haar in den Gegenverkehr gerast. Kate und Chelsea hatten mit im Auto gesessen. Sean konnte sich bis heute an den Adrenalinstoß erinnern, an die Mattheit, die einsetzte, sobald die Katastrophe abgewendet war. Das durfte er nie wieder riskieren. Brendan war einverstanden, erst am nächsten Morgen loszufahren, sein Knöchel tat anscheinend höllisch weh. Wäre Kate noch zu Hause, hätten sie den Urlaub abgesagt.
    Zu Hause gab Sean Brendan eine Schmerztablette und schaltete den Fernseher ein. Er bestellte Essen vom Chinesen und versuchte erneut, Kate zu erreichen, dann Chelsea, dann den Festnetzanschluss im Haupthaus. Er landete immer wieder auf der Mailbox, und das Festnetz war dauerbesetzt. Dass die Telefonverbindung zur Insel unterbrochen war, war normal. Als wollte die Insel ihre Bewohner abschirmen und für sich haben.
    »Rufen wir Mom an?«, fragte Brendan beim Abendessen. Sie versuchten es wieder. Erfolglos.
    »Ich will mit Mom reden«, jammerte Brendan. Sean deckte ihn zu, legte ihm ein Kühlpack an den Knöchel und setzte sich zu ihm.
    »Ich weiß, mein Junge«, sagte er. »Bald kommen wir durch.«
    Die Kinder hingen mehr an Kate als an Sean. So war das mit Kindern und ihren Müttern. Sean nahm es nicht persönlich, er hatte zu beiden ein gutes Verhältnis. Aber wenn sie Kummer hatten, konnte nur ihre Mom sie trösten. Verdammt, auch er fühlte sich wegen des beruflichen Fehlschlags am Boden und hätte Kate am liebsten sein Herz ausgeschüttet. Er wollte hören, wie sie zu ihm sagte: »Durchhalten, mein Schatz. Das Haus ist fantastisch, und du wirst es verkaufen!« Vielleicht war es nicht fair, dass sie alle sich so sehr auf Kate verließen. Auf HBO zeigten sie wieder einmal Der Herr der Ringe , und Sean und Brendan schliefen auf dem Sofa ein.
    Um Mitternacht schlug Sean die Augen auf. Er trug Brendan hinauf und legte ihn ins Bett. Er klappte seinen Laptop auf und entdeckte eine Mail von Kate, die ihm schrieb, der Netzempfang sei lückenhaft und er solle sich keine Sorgen machen, dass er sie bislang nicht erreicht habe.
    »Sean«, schrieb sie, »bitte fahrt morgen so bald wie möglich los – falls ihr nicht schon längst unterwegs seid, was ich hoffe. Diese Insel … Ich möchte nicht ohne dich hier sein. Mom geht es nicht gut, und die Stimmung ist merkwürdig. Ich mache mir Sorgen um Brendan, wie geht es seinem Fuß? Warum habe ich nicht gewartet? Dann hätten wir alle zusammen fahren können …«
    Er hatte es ihr nicht einmal vorgeschlagen. Schließlich erwarteten ihre Eltern sie, und jede Verzögerung hätte zu Spannungen geführt.
    Er schrieb ihr zurück: »Ich war heute Abend zu kaputt zum Fahren. Ich lege mich jetzt hin, und morgen fahren wir vor Sonnenaufgang los. Halte durch! Ich liebe dich, und bald bin ich bei dir.«
    Kate antwortete nicht mehr. Sean stellte den Wecker, um in vier Stunden wieder aufzustehen; aber dann lag er wach und starrte den Riss an der Decke an, der sich neben der Lampe gebildet hatte.
    Schließlich fielen ihm die Augen zu. Telefon und Laptop lagen neben ihm auf dem Bett. Sean schlief unruhig und träumte wirr. Er und Kate waren auf der Insel. Sie standen auf dem Anleger und sahen das Haupthaus.
    »Ich will hier nie wieder herkommen«, sagte sie.
    »Müssen wir auch nicht«, antwortete er.
    Bei diesen Worten sah er die Flammen aus dem Dachgiebel schlagen. Der heiße Qualm brannte ihm in der Nase.
    »Es brennt«, sagte er seelenruhig.
    »Das war ich«, sagte Kate und wirkte hochzufrieden, »ich habe es angezündet.«
    Das Handy in seiner Hosentasche klingelte pausenlos. Das Geräusch war fremdartig und verzerrt, ein elektronisches Blubbern unter Wasser.
    »Willst du nicht rangehen?«, fragte Kate. Sean klopfte seine Taschen ab, konnte aber kein Handy finden.
    Es klingelte immer weiter, bis Sean aufwachte und merkte, dass jemand versuchte, ihn über Skype zu erreichen. Auf dem Bildschirm hatte sich ein Fenster geöffnet: Chelsea rief an. Sean schreckte auf und schlug blitzschnell auf die Tastatur, um den Anruf entgegenzunehmen. Er rechnete mit Kate, aber dann erschien Chelseas Gesicht. Sie sah bleich und müde aus und fixierte einen Punkt neben der Kamera.
    »Dad?«, rief sie,

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